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Die Runen der Erde - Covenant 07

Die Runen der Erde - Covenant 07

Titel: Die Runen der Erde - Covenant 07
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Wandhalterung herab. Das einzige moderne medizinische Gerät in diesem Zimmer war ein Pulsmonitor, von dem ein dünnes Kabel zu einem Clip am Zeigefinger von Joans linker Hand führte. Wie der Monitor zeigte, war ihr Puls gleichmäßig, unaufgeregt.
    Auf dem fahrbaren Nachttisch standen eine Box mit Wattebäuschen, eine Flasche mit steriler Kochsalzlösung, eine Dose Vaseline und eine Vase mit bunten Blumen. Die Blumen waren Maxine Dubroffs Idee gewesen, aber Linden hatte sie sofort aufgegriffen. Nun schon seit Jahren ließ sie allen Patienten regelmäßig frische Schnittblumen ans Bett stellen – je leuchtender, desto besser. So bemühte sie sich, ihren Patienten in jeder Sprache, die sie kannte oder sich vorstellen konnte, die Überzeugung zu vermitteln, dass sie sich in guter Obhut befanden.
    Joan saß aufrecht im Bett und starrte blicklos die Tür an. Gurte fesselten ihre Handgelenke an die Bettgeländer, waren jedoch so locker, dass sie sich an der Nase kratzen oder ihre Haltung hätte verändern können, wenn sie derlei gewollt hätte.
    Sie tat es nie.
    Tatsächlich mussten eine Krankenschwester oder ein Pfleger sie aufgesetzt haben. Zum Glück für das Pflegepersonal war Joan eine gefügige Patientin geworden und behielt jede Position bei, in die man sie brachte. Zog man sie auf die Füße hoch, blieb sie stehen. Streckte man sie im Bett aus, lag sie still. Fütterte man sie, schluckte sie. Manchmal kaute sie sogar. Setzte man sie auf die Toilette, schied sie Kot und Urin aus. Aber sie reagierte nicht auf Worte oder Stimmen; sie ließ nicht erkennen, ob sie sich der Menschen, die sich um sie kümmerten, bewusst war.
    Ihr Blick war unverändert starr; sie schien kaum je zu blinzeln. Unabhängig davon, ob sie lag oder stand, erkannte ihr leerer Blick weder Fürsorge noch Hoffnung an. Falls sie jemals schlief, tat sie es mit offenen Augen.
    Ihre jahrelange Katatonie hatte sie erschütternd gezeichnet. Die Gesichtshaut hing nun schon so lange schlaff auf den Knochen, dass die Muskeln darunter verkümmert waren und ihr einen Ausdruck stummen Entsetzens verliehen. Trotz des von Linden für sie aufgestellten Übungsprogramms, an das die Krankenpfleger sich pflichtbewusst hielten, waren Joans Gliedmaßen erbärmlich abgemagert. Und nichts, was Linden oder das Pflegepersonal tun konnten – nichts von allem, was die von Linden konsultierten Fachleute hatten vorschlagen können –, hatte Joan davor bewahren können, im Lauf der Jahre ihre Zähne zu verlieren. Keine Ernährungsweise, oral oder intravenös, kein Bürsten oder sonstige Pflege konnten den normalen Gebrauch ersetzen, auf den ihr Körper angewiesen war. Tatsächlich war Joan weit stärker gealtert, als ihrem wahren Lebensalter entsprach. Ihr wehrloses Fleisch trug die Last allzu vieler Jahre.
    »Hallo, Joan«, sagte Linden wie immer, wenn sie den Raum betrat. Ihr nüchtern zuversichtlicher Tonfall vermittelte die Überzeugung, Joan könne sie hören, obwohl alles dagegen zu sprechen schien. »Wie geht es Ihnen heute?«
    Noch immer und trotz allem tat Joans erbärmlicher Zustand Linden in der Seele weh. Eine offene Wunde, etwa in der Größe von Lindens Handfläche, entstellte Joans rechte Schläfe. Eine lange Serie heftiger Schläge hatten eine tief reichende Prellung hinterlassen, aus der allmählich Blut zu sickern begonnen hatte, als die pergamentartig steife Haut sich dehnte und rissig wurde. Trotz aller Behandlungsversuche lief jetzt ein mit Gelb und Weiß durchsetzter dünner roter Faden über Joans Wange.
    Zu Anfang hatte Linden die blutende Prellung mit einem Verband bedeckt, aber der hatte Joan in Raserei versetzt. Sie hatte mit solcher Gewalt um sich geschlagen, dass es schien, die Fesselgurte brächen ihr die Knochen. Jetzt konzentrierte Linden sich darauf, die Häufigkeit der Schläge möglichst zu verringern. Auf ihre Anweisung hin durfte die Wunde bluten: mehrmals täglich gereinigt, dick mit Antibiotika und Salben bedeckt, um die chronische Entzündung zu mildern, aber ansonsten der Luft ausgesetzt. Das schien Joan irgendwie zu beruhigen.
    Roger machte auf der Schwelle halt und starrte seine Mutter an. Sein Gesicht verriet keine Reaktion. Was immer er fühlte, blieb in seinem Inneren verborgen, in seinem Herzen eingeschlossen. Linden hatte Überraschung, Schock, Entsetzen, Empörung, vielleicht sogar Mitgefühl erwartet, aber Rogers Gesichtszüge gaben keinerlei Hinweis darauf, was er empfand.
    Ohne den Blick von Joan zu wenden, fragte er
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