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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen
Autoren: Minelli Michele
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musste. Und dass Lazzaro Israël ein rechtschaffener Jude war, der zudem ein beträchtliches Vermögen gemacht hatte mit seiner Ledergerberei am Arno, konnte nicht von der Hand gewiesen werden. Er war einer der Ersten, die Maschinen für die Gerberei benutzten, und er betrieb mit ebensolchem Erfolg die Lacklederfabrikation, wie er sich auf das Weißgerben von Schaf-, Lamm- und Ziegenfellen verstand, und wer weiß, was nicht noch alles in seiner Fabrik veredelt und hergestellt wurde, wo doch die Kamine unablässig weiße Wölkchen in den blauen Himmel pafften.
    Costanzas Vater würde sich bei einem seiner nächsten Besuche noch etwas genauer erkundigen, ja, das würde er.
    Und dass Lazzaro Israël ein bisschen zu kurz geraten war, na ja, darüber konnte man im wahrsten Sinne des Wortes doch einfach hinwegsehen, nicht wahr? Die Paarung Modigliani – Israël jedenfalls war über diesen nichtigen Defekt erhaben, denn sie versprach Dauerhaftigkeit und Anerkennung dank sicherer geschäftlicher Beziehungen. Vielleicht, so die stille Hoffnung des Herrn Papa, vielleicht würde sogar er selbst wieder ins Geschäft einsteigen, der Handel mit Leder war dieser Tage zu einem lukrativen Betätigungsfeld geworden, wenn man es richtig anpackte. Da konnte eine Ledergerberei in der Verwandtschaft nicht schaden. So ein kleines Import-Export-Unternehmen auf seine altenTage, das täte ihm schon taugen. Einmal ganz davon abgesehen, dass er damit seiner stets etwas kränklichen Frau entfliehen konnte. Wieder reisen. Ganz legitim. Und schließlich: Dass man einen Passenden in ihrer Größe gefunden hätte, war ohnehin Illusion. Costanzas Gestalt war eine Zumutung, kein Vater hätte das vermocht, eine adäquate Giraffe für diese Giraffin aufzutreiben, und wenn er sich noch so darum bemüht hätte. Nun, er hatte sich auch nicht gerade überanstrengt, aber Giraffen sind Exoten, wieso also nicht eine Giraffin mit einem sagen wir mal Büffelchen vereinen? Wenn doch alles andere geradezu wunderbar stimmte.
    Für Costanza Modigliani war Lazzaro Israël kein Büffelchen. Er war Schildkröte, Froschlurch, Molch, seine wässrigen Glupschaugen auf sich zu spüren ertrug sie nicht und noch weniger die geriffelte Haut seiner Hände, die er sich bei irgendwelchen chemischen Arbeitsvorgängen verhässlicht hatte, egal, wie oft er sie sich mit Gallseife schrubben mochte. Mit einem Wort: Sie verabscheute ihn. Und dass dieser Lazzaro Israël nur winzige Einmeterfünfzig maß, war der Gipfel der Unverschämtheit. Er war ein Zwerg. Sein Kopf reichte gerade mal knapp über ihre Hüfte – wie sollte sie so einen Mann je lieben können? Und dann sein Stock mit dem geschnitzten Papageienschnabel aus Jade – wer glaubte er eigentlich zu sein? Nein, diesen Menschen konnte sie nicht ehelichen, lieber würde sie sterben.
    Sie schnitt ihn. Wann immer sie seine Zwergenschritte im Haus um eine Ecke tapsen oder die Stufen zu den Wohngemächern hinaufsteigen hörte, verschwand sie gazellengleich in einem der oberen Zimmer. Oder sie huschte eine andere Treppe wieder hinunter und entwischte ins Atrium, durch den Hinterhof und ohne ein Geräusch zu verursachen, auf leisen Sohlen – sie hielt dazu ihre Schuhe in den Händen – die Bedienstetentreppe hinauf, nur, um kurz vorden Bedienstetenkammern vom eigenen Vater überrascht und entschieden zurück in den Salon geführt zu werden.
    Es war besiegelt. Sein verkniffenes Gesicht duldete keine Widerrede. Und so verstummte Costanza Modigliani, schluckte ihren Abscheu, ihre Angst und ihren Ärger hinunter und beschränkte sich auf ein nunmehr traumloses, hoffnungsloses Leben, das jeglicher Phantasie entbehrte. Ihr Flair fürs Zeichnen erstarb an dem Tag, als sie Lazzaros Ring überstreifen musste. Nie wieder würde sie mit dieser Hand etwas Neues schaffen, nie wieder einen Kohlestift oder einen Pinsel anrühren, nichts, gar nichts.
    Lazzaro Israël, achtundzwanzig zum Zeitpunkt seiner Hochzeit, war zwar kurz gewachsen, aber sein Verstand übertraf den der meisten seiner Zeitgenossen um Längen. Nicht zuletzt seiner geistigen Wendigkeit und seiner messerscharfen Denkweise hatte er den Erfolg als Fabrikant und Unternehmer zu verdanken. Aber auch in Gefühlsbelangen trog ihn sein Spürsinn nicht. Sein Empfindungsvermögen hatte sich früh schon zu einem verlässlichen Seismoskop ausgewachsen, das jegliche Stimmungsregung umgehend aufnahm, registrierte und auswertete. Dass seine junge Frau, Costanza Israël, geborene Modigliani,
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