Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen
Autoren: Minelli Michele
Vom Netzwerk:
Instrument, das erschallte und den ganzen Raum für sich einzunehmen vermochte. Wie üblich sprang Gräfin Csöke dann unvermittelt auf, piepste ihr schnippisches »So« und schlug ihm zwei-, dreimal mit ihrem venezianischen Fächer auf die Hände. »Jetzt aber genug gefingert, eine Dame hat auch noch anderes zu tun, als ihrem nicht mehr ganz so blutjungen Haarteilzauberer Modell zu sitzen. Egal, wie sehr es schmerzen mag, die Sitzung ist beendet. Hopphopp, husch ab zu deinesgleichen – oder zu wem auch immer du nun huschen musst!«
    Er war bereits eiligst damit befasst, seine Kapitalien zusammenzuräumen und sich rückwärts und bücklings vonihr zu verabschieden, als sie das sagte. Diese kleine Stichelei, die er zu seinem Abgang empfangen durfte, brachte ihn nicht aus der Ruhe. Es war einfach ganz und gar unmöglich, dass sie wirklich etwas wusste, und raten konnte sie, soviel sie wollte, sie käme ja doch nie ganz dahinter. Solange er nur an sich hielt, die Nerven und den Kopf behielt, seinen Mund hielt.
    Beinahe wäre er über Flecki gestolpert – oder war es Schecki?, Tatzi-Fratzi?, Molli-Wolli, Mietzi-Trietzi, Pfoti, Punkti?, auf alle Fälle eines ihrer lästigen Katzi-Katzi-Viecher, und damit eben auch eine Hochheiligkeit seiner Logisgeberin. Aber sie hatte es zum Glück nicht bemerkt, sie tat sehr geschäftig an ihrer Frisierkommode herum, und er lachte einen Augenblick in sich hinein, mehr aus Erleichterung denn aus Hohn.
    Man hatte ihm hier zu Hofe eine Kammer gerichtet. Eigentlich zwei, wollte man die kleine Holzwerkstatt hinten bei den Stallungen dazuzählen, die er gelegentlich und auf Nachfragen hin benutzen durfte. Sein Zimmer war im äußersten Westtrakt untergebracht, dem renovierungsbedürftigen Teil des Schlosses, und František durfte hier so lange hausen, als die Damen der ersten Gesellschaft seine Dienste in Anspruch zu nehmen gesonnen waren, und das hieß: ewig. Wie ein Spielzeug und um den anderen zu zeigen, was sie an ihm besaßen, liehen sie ihn hin und wieder an andere Adelshäuser aus. Dann musste er jeweils seine Kisten, Bündel und Schachteln packen und wurde mit einem Einspänner vom magyarischen Stallburschen zum nächsten Schloss gefahren, wo er dann die Mütter und Töchter und Cousinen des Hauses aufhübschen konnte.
    Mit der Zeit hatte sich František Schön von ihnen allen eine ganze Sammlung von Holzköpfen geschnitzt, gehobelt und zurechtgefeilt, die wie eine Parade von Versprechungen und lebenslanger Versicherung akkurat aufgereihtauf dem obersten Tablar neben der Menora in einer Wandnische standen. Darunter dann die verschieden großen Haarhecheln, die Lederkardätschen, die Kordelmaschine und der Kopfhalter, die Zwingen und Spulen, die Hechelschrauben und die Zangen, Scheren, Hammer, die Montierstifte und all die Näh- und Knüpfnadeln, die er sich in den neun Jahren seiner Berufstätigkeit hatte zusammenkaufen können oder die er vom Vater geerbt hatte. Ein Regal weiter unten prangten die Pappschachteln, jede einzelne mit Tusche und feiner Hand beschriftet. Sie enthielten Tressierfaden, Nähfaden, Blumendraht und Federn, Fischhaut und in braune Fläschchen abgefüllten Zaponlack. Toupetpflaster und Postichespangen, Seidenbänder und Hohlbänder zum Einfassen von Federn. Baumwollbänder und verschiedenfarbige Kordelbänder. Und schließlich die Truhen mit den Stoffen und Stoffballen: englischer Steiftüll, Seidengaze, das feinste Gewebe aus Thal bei Rheineck, Etamine, Nanking und Hirschleder, Baumwolle und Samt für das Geflecht.
    Am kostbarsten aber waren ihm die Haare, über deren fachmännische Lagerung er wie eine Bracke über das erlegte Wild wachte: Schnitthaare vom lebenden Kopfe, Remishaare, ausgefallene Wirrhaare, die er neu präparierte und inszenierte. Und erst all die Exporthaare: Indohaare, Chinesenhaare und Haare der Südländer, die in dicken Zöpfen gehandelt wurden, denn die Südländer hatten ganz einfach noch Tradition.
    Aber auch Büffelhaare für die Bartteile der Männer und Angorahaare oder Bockhaare hielt er sauber und trocken abgepackt in Schachteln. Es war ihm selbst immer wieder wie ein Wunder, wie er es fertigbrachte, sein Handwerk mit den Ideen und Wünschen seiner Kundschaft zu vereinen. Wie er der Damen lieblos wirkendes Eigenhaar dank der Herstellung von gekraustem Falschhaar beleben konnte, ja,er war ein Virtuose auf dem Gebiet des Haarekrausens, und er arbeitete darin sehr gewissenhaft mit einer Messerspitze Soda und einem Tropfen Glyzerin
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher