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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen
Autoren: Minelli Michele
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wohler so in ihrem neuen Daheim, in dem ihre Seele nie wirklich angekommen war. Bedrückt, aber doch von einer kleinen Hoffnung beflügelt, betrachtete er im Türrahmen angelehnt den Rücken seiner Frau. Wie groß sie war, wie augenscheinlich reif mit ihren siebzehn Jahren. Und wie traurig ihre Haltung jeden Tag. Vielleicht, vielleicht …, aber das wagte er fast nicht mehr zu hoffen. Mit einem Seufzer streckte er sich und zog sich in die Bibliothek zurück.
    Als die Nacht am tiefsten war, gab er sich einen Ruck und kletterte mit einer flackernden Kerze bewehrt die Stiegen hinauf zu ihrem Zimmer. Mit leisem Druck presste er die Klinke hinunter und fand die Türe wundersamerweise unverschlossen. Er trat ein. Die Dunkelheit umhüllte ihn wie einen Dieb. Er musste ein paar Atemzüge nehmen, bevor er weiterging, sein Herz war mit einem Male ganz aufgewühlt. Er empfing einen Duft von Veilchen und Lavendel, er hatte dieses Zimmer seit Costanzas Einzug in seinem Hause nicht mehr betreten. Hatte es schon früher so eigenartig geduftet? Die kalte Luft, die durch das geöffnete Fenster hereinstrich, erfasste seine Locken, kitzelte an seinem Schnauzbart.
    Da lag sie, seine große Schöne, wie eine hastig zusammengeklappte Leiter in einem viel zu kurzen Bett. Dass er daran nicht gedacht hatte, sie bräuchte eine Spezialanfertigung, dringend, morgen früh als Erstes!
    Er tat einen Schritt auf die Liegende zu. Schlief sie? Spielte sie ihm ihren Schlummer vor? Sein Seismoskop weigerte sich, irgendwelche fremden Signale zu empfangen, er spürte nur sich selbst, sein Herz klopfen, seine wackeligen kurzen Beine, den unsicheren Fuß, als er sich noch weiter an das Bett heranschob und schließlich dicht neben seiner Frau zu stehen kam. Er brauchte sich nicht zu ihr hinunterzubücken,sein Arm reichte, um ihr eine Haarsträhne aus der Stirn zu wischen, sanft, ganz sanft. Jetzt wusste er, dass sie die ganze Zeit gewacht hatte, dass sie auf ihn, auf sein Eintreten in ihr Gemach, gewartet hatte, auf diese Berührung, diesen Moment. Er betrachtete sie lange still. Kein Muskel zuckte in ihrem Gesicht, das konnte nur der altbekannte Trotz sein, die Fremdbestimmung. Er erschrak. Lazzaro wurde von einer meertiefen und meerweiten Traurigkeit erfasst: Seine Frau würde ihn nie lieben können.
    Müde entledigte er sich seiner Kleidung, bis er nackt neben ihr stand. Dann schlüpfte er ungeschickt und viel zu schnell zu ihr ins Bett und suchte mit seinen Händen nach einem Ort auf ihrer Haut, der etwas weniger kalt und klamm erschien als ihre Arme, ihre Hüfte, ihre Schenkel. Auf ihrem Bauch ließ er sie zur Ruhe kommen und atmete tief durch.
    … Costanza spürte, wie seine abgearbeiteten harten Finger wie Blindschleichen über ihre Haut irrten. Ihre Augen hielt sie fest verschlossen, und in ihrem Schädel dröhnte immer und immer wieder des Vaters Basta!, es fiel ihr schwer, ruhig zu atmen. Als seine Hand zwischen ihre Beine rutschte, schrie sie kurz nutzlos auf. Seinen Geruch empfand sie noch immer als unerträglich, egal, wie sehr er sich gesäubert haben mochte, der Umgang mit faulenden Häuten und Chemikalien setzte doch jenen Gestank in seinen Poren ab, den sie unweigerlich mit seiner unzulänglichen Postur verband.
    … Vergeblich versuchte Lazzaro in dieser Nacht, die Arme und Hände seiner Gemahlin in Umarmung um sich selbst zu winden, schlaff fielen ihre Glieder jedes Mal von ihm ab, und er blieb allein in seinem Eroberungszug, einziger Conquistador bei der Erkundung von Neuland, das ihm vor etwas mehr als einem Jahr zugeschlagen worden war. War es das wert? Aber Lazzaro erinnerte sich plötzlichauch all der Momente in seinem Leben, in denen er geschnitten, ausgelacht, gehänselt, geplagt und bedroht, der Lächerlichkeit preisgegeben worden war. Das Schicksal hatte ihm weißgott schon böse genug mitgespielt mit seiner Kleinwüchsigkeit. Wenigstens ein Mensch, ein Mensch auf Erden nur, sollte ihn doch so lieben und annehmen können, wie er war – unvollkommen. Und wer war sie überhaupt, diese Costanza Modigliani, wer glaubte sie zu sein mit ihren Einmeterachtzig und der doch etwas zweifelhaften Herkunft, wenn man es sich recht besah?
    … Costanza fühlte, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte, sie war augenblicklich unschlüssig, ob sie die zarten Streichelversuche ihres ihr angetrauten Mannes nun nicht doch ein kleines bisschen erwidern könnte, aber da war er wieder, der Trotz, das Gefühl von Macht und Lebendigsein im
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