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Nur ein Hauch von dir

Nur ein Hauch von dir

Titel: Nur ein Hauch von dir
Autoren: S. C. Ransom
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1 Der Armreif
    Der Schwan tobte am Ufer herum, drosch mit seinen gewaltigen Flügeln auf die Kieselsteine ein und hatte alle anderen Vögel verjagt. Entsetzt schauten wir zu, wie er sich drehte und wendete und ein lautes, unheilvolles Zischen ausstieß.
    »Das kann ich nicht mit ansehen«, überschrie ich den Lärm. »Ich schau mal, ob ich ihm helfen kann. Ruf du jemanden an – die Polizei oder einen Tierarzt oder wen auch immer. Ich bin mir sicher, dass er sich verletzt hat.« Vorsichtig bewegte ich mich auf den Vogel zu.
    »Alex, sei doch nicht so dumm«, rief Grace. »Der hackt doch nach dir!«
    »Ich muss es versuchen«, murmelte ich, während ich mich über den schmalen Strand auf den Schwan zuschob.
    Er war jetzt wie rasend, und als ich näher kam, konnte ich auch erkennen, warum. Der Ring an seinem Bein hatte sich an einer Drahtschlaufe verfangen, die aus dem Sand und Kies des Ufers herausstand. Ich hatte keine Ahnung, welche beruhigenden Geräusche man bei einem verzweifelten Schwan machen sollte, aber da mich ja niemand hören konnte, legte ich einfach los.
    »Ganz ruhig«, gurrte ich. »Ein lieber Schwan bist du. Ich tu dir nichts.«
    Der Vogel fixierte mich mit einem hasserfüllten Auge, doch seine Bewegungen wurden ein bisschen langsamer. Ich schob mich näher, behielt aber seinen heimtückischen Schnabel und die kräftigen Flügel scharf im Auge. Plötzlich hörte er auf zu zischen, und in der unerwarteten Stille hörte ich nur noch seine riesigen Schwimmfüße über das Ufer kratzen. Die Flügel waren weit ausgebreitet, und er versuchte, möglichst bedrohlich auszusehen. Ich leistete ganze Arbeit. Wenn er mich attackierte, hätte ich zumindest die Prüfungen schon hinter mir, überlegte ich. Die letzte hatten wir gerade heute Morgen geschrieben, und den Nachmittag hatten wir mit Feiern verbracht. Im Moment waren nur noch Grace und ich hier, die anderen waren längst nach Hause gegangen, um sich für den Abend zurechtzumachen.
    Ich war dem Vogel bereits ziemlich nahe gekommen, als er plötzlich entschied, das wäre jetzt dicht genug. Mit einem mordsmäßigen Schrei spannte er sich an und holte mit den Flügeln weit aus. Ich konnte beinahe seine Federspitzen im Gesicht spüren. Es gab ein plötzliches Knacken, und er verschwand wie ein weißer Wirbelwind. Völlig überrumpelt, kippte ich nach hinten und landete mit dem Hintern auf dem schlammigen Boden.
    Im Sand lagen bloß noch die Überreste des Identifikationsrings, den der Schwan getragen hatte, und der Draht, der den ganzen Ärger verursacht hatte. In seinem Toben hatte das Tier den Boden ziemlich aufgekratzt, doch die Drahtschlaufe steckte noch immer fest im Uferschlamm.
    »Geht es dir gut?«, rief Grace besorgt, während sie an ihrem Handy herumfingerte. »Meinst du, ich soll noch jemand anrufen, der sich bei so was auskennt?«
    »Das hat jetzt keinen großen Sinn mehr«, brummte ich und wischte mir den Schmutz von meinen Jeans. »Jetzt bin ich schon dreckig, da kann ich auch noch gucken, ob ich den Draht da wegmachen kann«, rief ich zurück.
    Das hier war nur ein kleiner Strand, der bei extremem Niedrigwasser der Themse auftauchte. Man konnte ihn von der Terrasse des White-Swan-Pubs überblicken. Die Schwäne, Gänse und Enten gehörten fast zum Inventar der Kneipe. Sie kamen oft auf die Terrasse gewatschelt, um nach Pommesresten oder runtergefallenen Brötchenkrümeln Ausschau zu halten. Normalerweise waren jede Menge Gäste hier, die ein Glas Bier in der Sonne genossen, doch spätnachmittags an diesem Dienstag Anfang Juni lag die Terrasse nahezu verlassen da.
    Bei starker Ebbe blieb auf dem Strand ziemlich viel Abfall liegen, und die Vögel störten sich nicht groß daran. Doch über dieses spezielle Stück Draht, das dem armen Vogel beinahe das Bein gebrochen hätte, war ich sauer. Ich streckte die Hand aus und zog daran, wobei ich nicht wirklich erwartete, ich könnte es herausbekommen. Es hing fest. Aber vielleicht konnte ich es ja so verdrehen, dass es nicht länger eine Gefahr darstellte. Ich suchte nach etwas, mit dem ich es umbiegen könnte, da meine Finger dazu nicht stark genug waren.
    Ich fand einen einigermaßen robust aussehenden Stein und hämmerte damit auf den Draht ein, um ihn in den Kies zurückzubiegen. Als er anfing, sich zu krümmen, sah ich kurz etwas leuchtend Blaues aufblitzen. Neugierig fing ich an, den Kies um den Draht herum zu entfernen. Tief im Schlamm war er um einen Reif aus schwarz angelaufenem Metall von der
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