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Die Rückkehr des Poeten

Die Rückkehr des Poeten

Titel: Die Rückkehr des Poeten
Autoren: Michael Connelly
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weiß Gott ausführlich über die Sache berichtet. Sie kannte alle Details, die großen und die kleinen. Es gab also nicht mehr viel zu sagen, aber ich fand, dass ich sie noch ein letztes Mal persönlich aufsuchen sollte. Mit ihr hatte alles begonnen. Ich fand, es sollte auch mit ihr enden.
    »Danke für alles, was Sie getan haben«, sagte Graciela. »Fehlt Ihnen auch nichts?«
    »Nein, nein, alles nur halb so wild. Nur ein paar Kratzer und blaue Flecken. War eine ziemlich wilde Angelegenheit, das im Fluss.«
    Ich lächelte. Die einzigen sichtbaren Verletzungen, die ich hatte, waren ein paar Schrammen an den Händen und eine über der linken Augenbraue.
    »Aber vielen Dank, dass Sie damit zu mir gekommen sind. Ich bin froh, dass ich diese Gelegenheit erhalten habe. Darum bin ich auch hergekommen – einfach um mich zu bedanken und Ihnen alles Gute zu wünschen.«
    Die Schiebetür ging auf, und das kleine Mädchen kam mit einem Buch nach draußen.
    »Mami, liest du mir das vor?«
    »Du siehst doch, dass ich gerade Mr. Bosch zu Besuch habe. Aber gleich, ja?«
    »Nein, ich will, dass du es mir sofort vorliest.«
    Das Mädchen sah aus, als ginge es um Leben und Tod, und ihr Gesicht verzog sich, als würde sie gleich losheulen.
    »Machen Sie nur«, sagte ich. »Meine Tochter ist genauso. Lesen Sie ihr ruhig vor.«
    »Es ist ihr Lieblingsbuch. Terry hat es ihr fast jeden Abend vorgelesen.«
    Sie hob die Kleine auf ihren Schoß und hielt das Buch hoch, um ihr daraus vorzulesen. Ich sah, dass es das gleiche Buch war, das Eleanor gerade für meine Tochter besorgt hatte. Billy’s Big Day, mit dem Affen, der die Goldmedaille verliehen bekam, auf dem Titelbild. Cielos Ausgabe war vom vielen Lesen an den Rändern abgenutzt. Der Einband war an zwei Stellen eingerissen und mit Klebeband repariert.
    Graciela schlug das Buch auf und begann zu lesen.
    »Eines strahlenden Sommertags wurde unter dem großen Zelt in Ringlingville die Olympiade der Zirkustiere abgehalten. Alle Tiere aus allen Zirkussen hatten freibekommen und durften an den vielen verschiedenen Wettbewerben teilnehmen.«
    Ich merkte, dass Graciela die Stimme verändert hatte und die Geschichte in einem Ton gespannter Erwartung und Aufregung las.
    »Alle Tiere versammelten sich am Schwarzen Brett vor Mr. Farnsworths Büro. Dort war die Liste mit den Wettkämpfen angeschlagen. Es gab Rennen und Staffeln und viele andere Wettbewerbe. Die großen Tiere kamen am nächsten an die Anschlagtafel heran und verstellten den anderen Tieren die Sicht. Ein kleiner Affe zwängte sich zwischen den Beinen eines Elefanten durch und kletterte dann auf den Rücken des Dickhäuters, um die Liste sehen zu können. Billy Bing lächelte, als er sie endlich sah. Es gab ein Rennen, das Hundert-Meter-Sausen hieß, und er wusste, dass er im Sausen sehr gut war.«
    Den Rest der Geschichte hörte ich nicht mehr. Ich stand auf und stellte mich ans Geländer und blickte auf den Hafen hinunter. Aber ich sah auch nichts mehr. Mein Verstand war zu beschäftigt, um noch etwas von der Außenwelt mitzubekommen. In mir überschlugen sich Gedanken und Emotionen. Plötzlich wusste ich, dass der Name William Bing, den Terry McCaleb auf den Deckel seiner Akte geschrieben hatte, der Name eines Affen war. Und plötzlich wusste ich, dass die Geschichte noch keineswegs zu Ende war, nicht annähernd.

44
    S
    päter am Tag kam mich Rachel in meinem Haus besuchen. Ich war gerade vom Parker Center nach Hause gekommen, wo ich mit Kiz Rider den ganzen Papierkram erledigt hatte, und hörte mir gerade eine telefonische Nachricht von Ed Thomas an. Er dankte mir, dass ich ihm das Leben gerettet hatte, obwohl eigentlich ich ihm eine Entschuldigung schuldig war, weil ich ihn nicht sofort gewarnt hatte. Ich hatte deswegen ein schlechtes Gewissen und wollte ihn gerade in der Buchhandlung anrufen, als Rachel klopfte. Ich ließ sie herein, und wir gingen nach hinten auf die Terrasse.
    »Mann, was für ein Blick.«
    »Ja, er gefällt mir.«
    Ich zeigte nach links unten, wo hinter den Tonstudios des Warner-Brothers-Geländes ein Teil des Flusses zu sehen war.
    »Da ist er, der reißende Los Angeles River.«
    Sie kniff die Augen zusammen und schaute in die angegebene Richtung, und dann entdeckte sie ihn.
    »Die Narrows, Machen inzwischen nicht mehr viel her.«
    »Sie ruhen sich aus. Beim nächsten Unwetter sind sie wieder zurück.«
    »Wie geht es dir, Harry?«
    »Gut. Besser. Ich habe viel geschlafen. Ich bin überrascht, dass du
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