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Die Rückkehr des Poeten

Die Rückkehr des Poeten

Titel: Die Rückkehr des Poeten
Autoren: Michael Connelly
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Er war unter einem Regenschirm. Er war über die Brücke gegangen.
    »Dort unten ist ein Mann im Fluss. Rufen Sie neun-eins-eins an. Haben Sie ein Handy? Rufen Sie neun-eins-eins an.«
    Der Mann zog ein Handy aus seiner Jackentasche. Rachel drehte sich wieder um und begann über das Geländer zu steigen.
    Das war der einfache Teil. Aber zu dem Rohr hinabzuklettern würde schwierig werden. Sie schlang sich die Kabel um den Hals und streckte erst einen Fuß zu dem Rohr hinunter, dann den anderen. Dann setzte sie sich rittlings darauf.
    Diesmal würde das Kabel bis zu Bosch hinabreichen. Sie begann, es zu ihm hinabzulassen, und er griff danach. Aber gerade als er es zu fassen bekam, kam es im Wasser zu einem plötzlichen Aufleuchten von Farbe, und etwas stieß gegen Bosch und riss ihn vom Brückenpfeiler los. Im selben Moment wurde Rachel klar, dass es Backus war, der ihn, lebend oder tot, losgerissen hatte.
    Darauf war sie nicht gefasst gewesen. Bosch hielt das Kabel zwar weiter fest, als er losgerissen wurde, doch sein Gewicht und das von Backus und die Strömung waren zu viel für Rachel. Das andere Kabelende wurde ihr aus der Hand gerissen und fiel ins Wasser und unter die Brücke.
    »Sie kommen! Sie kommen!«
    Sie schaute zu dem Mann unter dem Regenschirm oben am Geländer hinauf.
    »Zu spät«, sagte sie. »Er ist weg.«
     
    Ich war schwach, aber Backus war schwächer. Ich spürte, dass er nicht mehr dieselbe Kraft hatte wie bei unserem Kampf am Rand des Kanals. Er hatte mich von der Brücke losgerissen, weil ich ihn nicht kommen sah, und er war mit seinem ganzen Gewicht gegen mich geprallt. Doch jetzt klammerte er sich an mich wie ein Ertrinkender und versuchte nur, sich an mir festzuhalten.
    Wir wirbelten durch das Wasser und wurden auf den Grund hinabgezogen. Ich versuchte die Augen zu öffnen, aber das Wasser war zu dunkel, um etwas sehen zu können. Ich stieß Backus fest auf den Betonboden und sah dann zu, dass ich hinter ihn kam. Ich schlang ihm das Kabel, das ich immer noch gepackt hielt, um den Hals. Das tat ich so lange, bis mich seine Hände losließen und an seinen eigenen Hals gingen. Meine Lungen brannten. Ich brauchte Luft. Ich stieß mich von ihm ab, um an die Oberfläche zu kommen. Als wir uns voneinander lösten, griff er ein letztes Mal nach meinen Fußgelenken, aber ich schaffte es, mich loszutreten und aus seinem Griff zu befreien.
    In den letzten Augenblicken sah Backus seinen Vater. Obwohl er schon lange tot und verbrannt war, schien er noch am Leben zu sein. Er hatte den strengen Blick aufgesetzt, den Backus nie vergessen würde. Eine Hand hatte er hinter seinem Rücken, so, als verbärge er etwas. Mit der anderen Hand winkte er seinen Sohn zu sich. Nach Hause.
    Backus lächelte, und dann lachte er. Wasser schoss in seinen Mund und seine Lungen. Er geriet nicht in Panik. Er begrüßte es. Er wusste, er würde wiedergeboren. Er würde zurückkehren. Er wusste, das Böse könnte nie ausgelöscht werden. Es bewegte sich lediglich von einem Ort zum anderen und wartete.
     
    Ich tauchte auf und schlang Luft hinunter. Ich drehte mich im Wasser, um nach Backus zu sehen, aber er war weg. Vor ihm war ich in Sicherheit, aber nicht vor dem Wasser. Ich war erschöpft. Meine Arme fühlten sich im Wasser so schwer an, dass ich sie kaum an die Oberfläche bringen konnte. Ich dachte wieder an den Jungen, welche Angst er gehabt haben musste, so ganz allein, als die Krallen an ihm zerrten.
    Ein Stück vor mir konnte ich die Stelle sehen, wo der Abfluss in den Hauptkanal mündete. Ich war fünfzig Meter davon entfernt, und ich wusste, der Hauptkanal wäre breiter und seichter und das Wasser an dieser Stelle reißender. Aber im Hauptkanal waren die Betonwände abgeschrägt, und ich wusste, ich hätte vielleicht eine Chance, mich aus dem Wasser zu ziehen, wenn es mir irgendwie gelang, mein Tempo zu verlangsamen und Halt zu finden.
    Ich senkte den Blick und beschloss, mich so nah wie möglich an die Seitenwand heranzukämpfen, ohne dass ich zu fest dagegen gedrückt wurde. Dann sah ich eine unmittelbarere Rettung. Hundert Meter vor mir war der Baum im Wasser, den ich von Turrentines Haus aus auf dem Kanal hatte vorbeitreiben sehen. Er musste sich an der Brücke oder an einer seichten Stelle verfangen haben, denn ich hatte ihn fast eingeholt.
    Unter Aufbietung meiner letzten Kräfte begann ich, mit der Strömung zu schwimmen, Geschwindigkeit aufzunehmen und auf den Baum zuzusteuern. Ich wusste, er würde mein
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