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Die Rückkehr des Poeten

Die Rückkehr des Poeten

Titel: Die Rückkehr des Poeten
Autoren: Michael Connelly
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kümmerte sie in diesem Moment nicht. Sie raste die Straße hinunter und hielt an jeder Kreuzung nach der nächsten Brücke über den Kanal Ausschau. Als sie endlich eine entdeckte, raste sie darauf zu und hielt mitten auf der Brücke an. Sie sprang aus dem Auto und stürzte ans Geländer.
    Weder von Bosch noch von Backus war irgendetwas zu sehen. Sie glaubte, sie könnte sie überholt haben. Sie rannte über die Straße, was ihr das wütende Hupen eines Autofahrers eintrug, und beugte sich über das andere Geländer.
    Sie suchte eine Weile die brodelnden Wasseroberfläche ab, und dann entdeckte sie Bosch. Sein Kopf war über Wasser und nach hinten geneigt, sein Gesicht dem Himmel zugewandt. Sie geriet in Panik. Lebte er noch? Oder war er ertrunken, und seine Leiche wurde von der Strömung mitgerissen? Dann sah sie fast so schnell, wie die Angst sie gepackt hatte, Bosch den Kopf herumreißen, wie es Schwimmer oft tun, um Haare und Wasser aus den Augen zu bekommen. Er war noch am Leben und etwa hundert Meter von der Brücke entfernt. Sie sah, wie er sich abmühte, in der Strömung seine Richtung zu verändern. Sie beugte sich über das Geländer und sah nach unten. Sie wusste, was er vorhatte. Er wollte sich an einem der Brückenpfeiler festhalten. Falls er einen zu fassen bekam und sich daran festklammern konnte, könnte er gleich hier aus dem Wasser geholt und gerettet werden.
    Rachel rannte zum Auto zurück und riss die Heckklappe auf. Sie sah sich nach etwas Brauchbarem um. Ihre Reisetasche war da und sonst fast nichts. Sie zerrte sie ohne Rücksicht auf Verluste nach draußen auf den Boden und hob die teppichüberzogene Klappe im Boden an. Jemand, der durch den Mercedes am Weiterfahren gehindert wurde, begann zu hupen. Sie drehte sich nicht einmal nach ihm um.
     
    Ich knallte mit solcher Wucht gegen den Mittelpfeiler der Brücke, dass ich keine Luft mehr bekam und dachte, ich hätte mir vier oder fünf Rippen gebrochen. Aber ich hielt mich daran fest. Das war meine Chance. Ich klammerte mich mit allem, was ich noch hatte, daran fest.
    Das Wasser hatte Krallen. Ich konnte sie spüren, als es an mir vorbeirauschte. Tausende von Krallen, die an mir zerrten, mich packten, mich in die reißende dunkle Strömung zurückzuziehen versuchten. Das Wasser stieg an mir hoch und in mein Gesicht. Die Arme auf beiden Seiten des Pfeilers, versuchte ich mich an dem glitschigen Beton hochzuschieben, aber jedes Mal, wenn ich mich ein paar Zentimeter hochgearbeitet hatte, packten mich die Krallen und zogen mich wieder nach unten. Ich begriff schnell, dass es das Beste war, wenn ich mich einfach nur festhielt. Und wartete.
    Während ich mich an den Beton klammerte, dachte ich an meine Tochter. Ich dachte daran, wie sie mich zum Durchhalten ermunterte und mir sagte, dass ich es ihretwegen schaffen müsste. Sie sagte mir, dass sie mich brauchte, ganz egal, wo ich war oder was ich gerade tat. Ich wusste zwar selbst in diesem Moment, dass das alles nur Einbildung war, aber ich fand Trost darin. Ich fand die Kraft, mich festzuhalten.
     
    In dem Fach waren Werkzeug und ein Ersatzreifen, nichts Brauchbares. Doch dann sah sie unter dem Reifen, durch die Zierlöcher in der Felge, schwarze und rote Kabel. Starterkabel.
    Sie steckte die Finger durch die Löcher in der Felge und zog das Rad hoch. Es war groß, schwer und sperrig, aber sie ließ sich nicht entmutigen. Sie zog das Rad heraus und ließ es einfach auf die Straße fallen. Sie packte die Kabel und rannte über die Straße zurück, sodass ein Auto gefährlich ins Schleudern geriet, als sein Fahrer auf die Bremse trat.
    Am Geländer schaute sie auf den Fluss hinab, sah aber Bosch zuerst nicht. Dann blickte sie direkt nach unten und sah, wie er sich am Pfeiler festklammerte, während das Wasser gegen ihn anbrandete, an ihm zog und zerrte. Seine Hände und Finger waren zerkratzt und blutig. Er schaute zu ihr hoch und hatte, wie sie fand, ein Lächeln auf den Lippen, fast so, als wollte er ihr sagen, dass er es schaffte.
    Unschlüssig, wie sie bei der Rettungsaktion am besten vorgehen sollte, warf sie das eine Ende der Kabel über das Brückengeländer. Sie waren viel zu kurz.
    »Scheiße!«
    Sie musste über das Geländer steigen. An der Seite der Brücke lief ein Leitungsrohr entlang. Wenn sie es auf das Rohr hinab schaffte, könnte sie die Kabel anderthalb Meter tiefer hinablassen. Das genügte vielleicht.
    »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    Sie drehte sich um. Da stand ein Mann.
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