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Die Rückkehr des Poeten

Die Rückkehr des Poeten

Titel: Die Rückkehr des Poeten
Autoren: Michael Connelly
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Boot werden. Wenn nötig, könnte ich auf ihm die ganze Strecke bis zum Pazifik zurücklegen.
     
    Rachel verlor den Fluss aus den Augen. Die Straßen führten sie weiter von ihm fort, und bald hatte sie ihn aus den Augen verloren. Sie schaffte es nicht, zu ihm zurückzukommen. Es gab zwar ein GPS-Display im Auto, aber sie konnte das Gerät nicht bedienen. Außerdem bezweifelte sie, dass sie bei diesem Wetter ein Satellitensignal empfangen könnte. Sie fuhr an den Straßenrand und hieb mit der Handkante wütend auf das Lenkrad. Sie hatte das Gefühl, Harry im Stich zu lassen, dass es ihre Schuld wäre, wenn er ertrank.
    Dann hörte sie den Hubschrauber. Er flog tief und kam schnell voran. Sie beugte sich vor, um durch die Windschutzscheibe nach oben zu schauen. Sie sah nichts. Sie stieg in den Regen hinaus und drehte sich auf der Straße im Kreis, um nach ihm Ausschau zu halten. Sie konnte ihn noch hören, aber sehen konnte sie ihn nicht.
    Es musste die Luftrettung sein, dachte sie. Wer sonst flöge bei diesem Wetter? Sie orientierte sich an dem Geräusch und sprang wieder in den Mercedes. Bei der ersten Gelegenheit bog sie rechts ab und folgte dem Geräusch. Sie fuhr mit offenem Fenster, und es regnete herein, aber das war ihr egal. Sie lauschte auf das ferne Geräusch des Hubschraubers.
    Nach kurzer Zeit entdeckte sie ihn. Er kreiste schräg rechts vor ihr. Sie fuhr weiter und bog am Reseda Boulevard erneut rechts ab und konnte jetzt sehen, dass es in Wirklichkeit zwei Hubschrauber waren, einer ziemlich tief unten und der andere über ihm. Beide waren rot, mit weißer Schrift auf den Seiten. Keine Abkürzung eines Fernsehoder Rundfunksenders. Die Hubschrauber waren von der Feuerwehr und trugen die Aufschrift LAFD.
    Vor ihr kam eine Brücke, und Rachel konnte sehen, dass Autos angehalten hatten und Leute ausstiegen, um im Regen ans Geländer zu eilen. Sie blickten auf den Fluss hinab.
    Sie fuhr an den Straßenrand, hielt auf dem rechten Fahrstreifen und stieg ebenfalls aus. Sie kam gerade noch rechtzeitig ans Geländer, um die Bergung mitzubekommen. Bosch wurde in einem gelben Sicherungsgeschirr mit einem Stahlseil von einem entwurzelten Baum gehievt, der sich an der seichten Stelle, wo sich der Kanal auf fünfzig Meter weitete, verfangen hatte.
    Als Bosch zum Hubschrauber hochgezogen wurde, blickte er in die reißenden Wassermassen unter ihm. Wenig später riss sich der Baum los und trieb in den Strudeln wirbelnd weiter. Er wurde immer schneller und trieb unter die Brücke, wo seine Äste gegen die Pfeiler klatschten und an ihnen entlangstreiften.
    Rachel beobachtete, wie die Bergungsspezialisten Bosch in den Hubschrauber zogen. Sie wandte den Blick nicht eher ab, als bis er im Hubschrauber und in Sicherheit war und der Hubschrauber abzudrehen begann. Und das war der Moment, in dem einige der Schaulustigen auf der Brücke laut zu rufen und aufs Wasser zu zeigen begannen. Rachel blickte nach unten und sah, dass dort ein weiterer Mann im Wasser war. Aber für diesen Mann kam jede Hilfe zu spät. Er trieb mit dem Gesicht nach unten im Wasser, die Arme lose, der Körper schlaff. Um seinen Körper und seinen Hals waren ein rotes und ein schwarzes Starterkabel geschlungen. Sein rasierter Schädel sah aus wie ein verlorener Kinderball, der in der Strömung hopste.
    Der zweite Hubschrauber folgte dem Körper und wartete, dass er sich wie der Baum irgendwo verfing, damit er einen Bergungsversuch unternehmen könnte. In diesem Fall war keine Eile geboten.
    Als sich die Strömung verdichtete, um zwischen den Pfeilern der Brücke hindurchzufließen, wurde die nasse Fahrt des Körpers gestört, und er drehte sich im Wasser auf den Rücken. Unmittelbar bevor er unter der Brücke verschwand, erhaschte Rachel einen Blick auf Backus’ Gesicht. Seine Augen waren offen unter der Glasur aus Wasser. Aber es schien ihr, als sähe er sie direkt an, bevor er unter der Brücke verschwand.
     
    Vor vielen Jahren, als ich mit der Army in Vietnam war, wurde ich in einem unterirdischen Gang verwundet. Ich wurde von meinen Kameraden herausgeholt und zu einem Hubschrauber getragen, der mich zurück zum Ausgangslager bringen sollte. Ich erinnere mich, dass ich in dem Moment, in dem der Hubschrauber abhob und mich in Sicherheit brachte, ein Hochgefühl verspürte, das meine Schmerzen und die Erschöpfung überdeckte.
    Genau so fühlte ich mich an diesem Tag am Fluss. Ein hundertprozentiges Déjà-vu, wie es so schön heißt. Ich hatte es
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