Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
sie und zog ihn mit einem Ruck in eine sitzende Position. »Steh auf, wir müssen hier raus.« Immer stärker wurde der Rauchgeruch.
    »Ich würde ja gerne«, murmelte Levin. »Aber meine Beine – irgendwas ist komisch.« Er sah ernsthaft besorgt aus. »Der Spielleiter hat gesagt, er hat das Skript und den Ablauf des Spiels unter Kontrolle. Sie werden kommen, Lis. Mach dir keine Sorgen. Es steht alles im Skript.«
    »Halt die Klappe!«, fuhr ihn Lis an. Ihre Brandwunde pochte und schmerzte bis zur Unerträglichkeit. »Matej!«, rief sie. Er sprang herbei und half ihr. Gemeinsam hievten sie Levin, so gut es ging, hoch.
    »You can check out any time you like, but you can never leave…«, sang Levin wieder vor sich hin, sein Kopf schlenkerte von einer Seite zur anderen. Er hielt die Augen geschlossen. Seine Knie knickten ein, aber irgendwie hielten Lis und Matej ihn aufrecht, obwohl er schwer war wie ein Sack voller Backsteine.
    Mehr stolpernd als gehend bewältigten sie die ersten paar Stufen, dann quälten sie sich weiter und weiter. Lis schrie jedes Mal auf, wenn Levin versehentlich ihre Wunde berührte. Der Rauch zog inzwischen durch den Turm und biss in ihrer Lunge. Brannte die ganze Stadt? Oder hatten die Sarazenen doch noch die Scheiterhaufen in Brand gesteckt? Die Vorstellung beunruhigte sie auf eine vage Weise. Sie wusste nicht, woher dieses Unbehagen kam. Es dauerte eine Ewigkeit, in der sie husteten, verweilten, nach Luft schnappten und sich weiterschleppten, in der Lis betete, dass Levin nicht wahnsinnig geworden war, bis sie endlich den Kultplatz am Fuß der Treppe erreichten. Levin rutschte aus ihrem Griff und wurde, sobald er den Boden berührte, bewusstlos. Erst jetzt fiel Lis ein, dass Tschur sich noch hier befinden musste. Gehetzt sah sie sich um, aber der Turm war leer. War er wieder aus dem Turm geflohen, als er sah, dass sein Herr tot war?
    »Sieh mal, die Statue!«, rief Matej und deutete auf eine der Götterfiguren.
    Lis vermied es, zu der Leiche des Priesters zu schauen, die wie ein Menschenopfer zwischen den grinsenden Götterstatuen lag und mit glasigen Augen in die Unendlichkeit starrte. Dennoch erkannte sie, dass Matej Recht hatte – etwas war anders, eine der vielen Poskur-Statuen war umgefallen. Das allein mochte nicht ungewöhnlich sein, aber neben der Statue lagen mehrere quadratische Steine und Holzplatten, die jemand wohl in großer Hast zur Seite geworfen hatte.
    »Ein Geheimgang unter der Statue!«, sagte Matej und sprang auf. »Das ist die Rückseite des Turms, bestimmt führt er zum Meer!«
    Schon rannte er am Rand des Raumes entlang, bis er bei der liegenden Statue angelangt war. Lis war nicht so schnell, behutsam folgte sie ihm, wobei sie darauf achtete, nicht zu hart aufzutreten, denn jede Erschütterung schickte Wellen von Schmerz in ihre Brandwunde.
    »Er ist geflohen«, rief Matej. »Deshalb sind sie also in den Turm gekommen. Sie wollten den Tempelschatz mitnehmen und durch den Geheimgang zum Strand fliehen.«
    »Wahrscheinlich haben sie irgendwo da draußen auch ein Boot versteckt«, sagte sie matt.
    Matej lächelte. »Ich glaube nicht, dass Tschur weit kommt. Die Sarazenen werden ihn finden.« Er beugte sich vor und lugte in den schmalen Gang. »Schau, das ist einer der Geheimgänge, die sich von selbst verschließen, wenn du an seinem Ende einen Stützstein bewegst. So kann dir niemand folgen.«
    Nun sah auch Lis, dass das Loch im Boden mit Schutt und Erde zugeschüttet war. Den Gang freizuräumen musste Stunden kosten. Sie hustete und sah sich nach der Tür um. »Lass uns hier rausgehen«, flüsterte sie. Matej nickte. Inzwischen war es im Turm heiß geworden. Brennendes Holz knackte irgendwo. Lis schleppte sich von Matej gestützt zur Turmtür. Gleich würde sie atmen können. Sie sehnte sich nach kühler Luft, nach Himmel.
    »Warte, lass mich!«, sagte Matej sanft und schob sie zur Seite. Dann legte er seine Hand unter den Riegel und ruckte daran. Nichts tat sich. Matej fluchte in bestem Piraner Marktdialekt und zerrte wieder und wieder an dem Riegel. »Verdammt, sie haben die Tür von innen verschlossen – und zwar mit dem geheimen Mechanismus, den nur die Priester öffnen können. Wo ist die Axt?«
    »Sie klemmt oben in der Stützstrebe«, flüsterte Lis. »Da, wo wir sie nicht erreichen können.« Eine schrille Alarmsirene heulte in ihrem Kopf los. »Vielleicht können wir Hilfe rufen!« Sie trat an den Spalt heran, den sie vorher in die Tür gehauen hatten, und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher