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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten
Autoren: Nina Blazon
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gespenstisch hohles Lächeln und schloss Mokosch in die Arme. Lis kämpfte gegen die aufsteigende Panik an, aber sie zwang sich, ruhig zu bleiben, und machte sich bewusst, dass Levin unmöglich in einem so schlimmen Zustand sein konnte wie Pogoda, schließlich saß er erst seit gestern in diesem Turm.
    »Ich habe dich nicht verraten«, flüsterte Pogoda Mokosch zu.
    »Ich weiß«, antwortete die Fürstentochter mit leiser Stimme und strich immer wieder über sein Gesicht. »Ich weiß. Wir bringen dich hier raus. Und dann verlassen wir Antjana.«
    »Ja«, antwortete er kaum hörbar. »Weg von Antjana…« Sein Blick irrte bei diesen Worten durch den Raum. Lis war sich nicht sicher, ob der Kurier viel von dem wahrnahm, was um ihn herum vorging. Aber dann entdeckte er ihr Feuermal und lächelte. »Oh, die Gesandte! Meine Botschaft…«
    »Ja, ich weiß«, unterbrach ihn Lis barsch und wandte sich an Tona und Mokosch. »Geht, haut ab! Sucht die Desetnica und bringt euch in Sicherheit. Matej und ich holen Levin und kommen nach, so schnell wir können. Los!«
    Gehorsam nahmen Mokosch und Tona den Kurier zwischen sich und schleppten ihn die Treppen hinunter. Er war kaum fähig, einen Schritt alleine zu gehen.
     
    »Nach oben!«, rief Matej und rannte mit der Fackel in der Hand die Treppe weiter hoch.
    »Levin!«, schrie Lis, während sie höher und höher liefen. Rechts von ihnen taten sich Kammern auf, dunkle Löcher ohne Licht, aus denen ihnen der modrige Gestank feuchten Schimmels entgegenschlug. Eine sehr schmale, unscheinbare Tür, die Lis kaum bis zu Hüfte ging, war allerdings verschlossen.
    »Komm, Lis!«, rief Matej ihr zu, als er bemerkte, dass sie stehen geblieben war. »Das ist keine Gefängnistür.«
    »Woher willst du das wissen?«, rief sie zurück. »Sie ist verschlossen – und ein Mensch passt hindurch.«
    Ungeduld ließ Matejs Stimme barsch und unhöflich klingen. »Bist du der Türwächter oder ich? Glaube mir einfach mal, dass ich mich in der Stadt besser auskenne als die meisten Antjaner! Und jetzt mach schon!«
    Die Tür ganz oben war ebenfalls verschlossen. Lis hämmerte wie von Sinnen mit den Fäusten an das Holz, doch kein Klopfen antwortete ihr. Sie heulte los, als sie plötzlich Matejs Hand auf der Schulter fühlte. »Nicht aufgeben, Lizika. Bestimmt ist er nur bewusstlos.«
    Lis zuckte zusammen und sah ihn überrascht an, als sie wie ein fernes Echo ihrer Tante Vida ihren Kosenamen hörte. Seltsamerweise tröstete es sie und sie nickte und überließ Matej die Tür. Er holte mit der Axt aus und schlug mit aller Kraft zu.
    Viel zu viele Schläge später hatte sich noch nicht viel getan. Matej lief der Schweiß über die Stirn, mehrmals musste er eine Pause machen, um keuchend Luft zu holen. Immer noch hatten sie keine Antwort aus dem Innenraum vernommen. Schließlich ließ Matej die Axt sinken. »Versuch du mal«, sagte er und strich sich mit dem Ärmel erschöpft über die Stirn.
    Lis nahm die Kurzaxt und holte aus. Schon beim ersten Schlag spürte sie, dass diese Tür etwas ganz Besonderes war. Jeder Schlag auf das harte Holz fuhr ihr schmerzhaft durch die Handgelenke bis hinauf zu den Schultern. Sie fluchte und rieb sich den rechten Arm.
    »Vielleicht ist es doch besser zu warten, bis die Sarazenen kommen und uns helfen«, meinte Matej.
    »Nein!« Lis hatte dieses Wort herausgeschrien. »Ich kann ihn da nicht drin lassen – vielleicht stirbt er gerade. Er reagiert nicht!«
    »Das muss nichts heißen – er könnte genauso gut gefesselt sein«, wandte Matej ein.
    Sie antwortete ihm nicht, sondern biss die Zähne zusammen, hob die Waffe und schlug zu. Immer wieder, bis sie außer Atem war und innehalten musste. Die schmale Mulde hatte sich zu einem Spalt verbreitert. Dann löste Matej sie wieder ab. Die Schläge hallten wie unregelmäßige Herzschläge des Turms durch den hohen Raum.
    Lis kam sich vor wie in einer Zeitschleife. Vielleicht war das die Hölle? Vielleicht war sie doch auf dem Mosaik im Palastinnenhof gestorben und würde hier bis in alle Ewigkeit gegen eine Tür anrennen, hinter der Levin lag und nicht antwortete.
    Endlich, vielleicht schon beim tausendsten Schlag, brach eine Spitze der Axt durch das Holz. Du musst große Angst vor Karjan dem Priester haben, Niam, dachte Lis grimmig, als sie die Waffe wieder Matej gab. Warum sonst musstest du ihn hinter die dickste Tür sperren? Mühsam schnappte sie nach Luft und ging ein paar Holzstufen nach unten, wo die Luft weniger stickig
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