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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten
Autoren: Nina Blazon
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lebensgroße Poskur-Statuen aus Holz in einem magischen Zirkel. Mokosch schloss die Augen und musste sich sichtlich überwinden, den geheiligten Kreis zu betreten, doch schließlich reckte sie entschlossen ihr Kinn vor und schloss zur Gruppe auf. Eine schmale Holztreppe führte an den Innenwänden des Turms entlang steil nach oben. Matej nahm eine der Fackeln von der Wand und winkte ihnen zu, ihm zu folgen. »Die Gefängnisse sind sehr weit oben«, flüsterte er. Unheimlich hallte das Echo seiner Worte.
    Mit gemischten Gefühlen stiegen sie die Treppen hinauf, sorgfältig darauf bedacht, nicht im selben Takt zu laufen, um das Geländer nicht mehr als nötig zum Schwingen zu bringen. Lis zitterten die Knie, doch sie zwang sich, nicht nach unten zu sehen. Tona bemerkte ihr Zögern und reichte ihr die Hand. Stufe für Stufe zogen sie sich gegenseitig hoch. Immer schwerer wurden Lis’ Beine, bis sie endlich – es musste ihrem Gefühl nach schon die tausendste Treppenstufe sein – stehen blieb, ihren Gürtel löste und sich Überkleid und Kettenhemd vom Körper streifte. In dem dünnen Unterkleid bekam sie wieder mehr Luft und atmete erleichtert auf. Die ersten Schritte ohne das Eisengewicht erschienen ihr so leicht, als würde sie fliegen.
    Schließlich erreichten sie einen Vorsprung, bald darauf noch einen. Die Luft wurde immer heißer und stickiger, das Holz roch nach salzigem Moder.
    »Hier ist eine Tür!«, rief Matej und hämmerte an einen niedrigen Durchgang, an dessen Außenseite ein dicker Balken als Schloss diente. Keuchend hoben Matej und Tona ihn hoch. Ein schwaches Klopfen antwortete ihnen. Mokosch biss sich auf die Lippe. Sie hatte Tränen in den Augen und wartete wie Lis voller Hoffnung.
    Lis stand da und hörte ihr Herz so laut klopfen, dass sie sicher war, das Echo müsste von den Wänden widerhallen. Was, wenn Levin hinter dieser Tür war? Dann lebte er! Ungeduld riss an ihr, am liebsten hätte sie Matej angeschrien, sich doch zu beeilen.
    Tona schüttelte den Kopf. »Sie geht nicht auf. Die Tür ist mit einem dieser geheimen Schlösser versiegelt, von denen nur die Priester wissen, wie sie geöffnet werden können. Der Balken dient nur dazu, die Tür kurzfristig zu verschließen. Wir können sie so jedenfalls nicht öffnen.«
    »Was?«, schrien Lis und Mokosch aus einem Munde.
    Matej zuckte zusammen. »Geht zurück!«, befahl er und griff nach Lis’ Axt.
    Lis wusste nicht, wie viele Minuten vergangen waren, seit Matej immer und immer wieder ausholte. Es schien nur Millimeter um Millimeter voranzugehen, doch immer wieder antwortete den dumpfen Schlägen ein Klopfen, zunächst schwach und zögernd, schließlich immer verzweifelter und lauter.
    Nach einer Weile löste erst Tona Matej ab, und schließlich nahm Lis die Axt, deren Griff schon heiß und rutschig von den Händen der anderen war. Die Scharte, die sie mit vereinten Kräften nach und nach ins Holz schlugen, wurde größer und größer. Als Mokosch ihr das Beil aus der Hand nehmen wollte, schüttelte sie den Kopf. »Du nicht, Mokosch. Geh zur Seite, wir schaffen das auch so.«
    Mokosch widersprach nicht, sondern machte ihr gehorsam, wenn auch mit unglücklichem Gesicht, wieder Platz. Sie sah aus, als wäre ihr wieder übel.
    »Sie ist schwanger«, erklärte Lis, als sie Matejs fragenden Blick sah. »Und zwar von dem Kurier, der vielleicht hinter dieser Tür wartet.«
    Tona fiel die Kinnlade herunter. Mokosch errötete. Lis hieb noch einige Male in das Holz. Endlich brach die Axt hindurch.
    »Pogoda!«, schrie Mokosch auf und stürzte zur Öffnung.
    »Mokosch?« Die Stimme klang dumpf und schwach, eine ausgezehrte Hand erschien im Spalt, die Mokosch ergriff und mit Küssen bedeckte.
    »Ja!«, rief sie und lachte und weinte gleichzeitig. »Ich bin es! Wir holen dich raus.«
    »Geh zurück, Pogoda!«, rief Lis ihm zu und schob Mokosch unsanft zur Seite. Die Enttäuschung, Levin nicht gefunden zu haben, machte sie wütend – so wütend, dass sie mit wenigen Schlägen den Spalt so weit verbreiterte, dass ein schmaler Mensch sich seitlich hindurchzwängen konnte. Und Pogoda war nach den Tagen im Gefängnis so schmal, dass er ohne Mühe hindurchpasste.
    Lis erschrak, als sie den jungen Kurier sah. Niemals hätte sie ihn wiedererkannt. Pogoda war so stark abgemagert, dass er wie vertrocknet aussah. Seine Haare schienen heller geworden zu sein und seine Lippen waren aufgesprungen und verkrustet. Aber er lächelte ein glückliches, wenn auch
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