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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees
Autoren: Evelyn Holmy
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du in Thornsby?“ Auf ihr
zögerndes Nicken hin streicht er sich bedächtig eine schwarze Haarsträhne aus
dem Gesicht. Dann erhebt er sich, packt ihren Oberarm und zieht sie hoch auf
die Füße.
    Joan wird schwindlig und
strauchelt, doch er hält sie fest. Binnen kurzem hat sie sich wieder in der
Gewalt und betrachtet ihn benommen aus der Nähe. Eine kurze Narbe verläuft
wenig unterhalb des linken Auges über seine Wange. Er mag an die fünfzehn Jahre
älter als sie sein. Seine tiefgründigen Augen scheinen sie zu durchdringen.
Alles an ihm, insbesondere seine bedrohlich wirkende Größe und seine kraftvolle
Gestalt, flößt ihr Furcht ein. Die langen, lockigen Haare sind bis auf einige
geflochtene, lose Strähnen noch immer im Nacken zusammengebunden und fast getrocknet.
Sie unterstreichen die beunruhigende Wildheit seines Wesens.
    Joan fühlt sich unwohl in ihrer
Blöße. Sie bezwingt ihre Angst und reißt sich unwirsch von ihm los. Mit
brummendem Schädel schließt sie die Augen. Doch mit einem Male stutzt sie. Sein
edles Streitross muss für einen einfachen Soldritter unerschwinglich sein, geht
ihr auf. Desgleichen sein prächtiges Schwert. Erschrocken reißt sie die Augen
auf. Übermächtig kehrt die Furcht zurück, um ihr verlässlich die Kehle
zuzuschnüren. Sie schluckt trocken und fragt sich verzweifelt, wie sie nur
derart einfältig sein konnte.
    „Du hast wirklich Mut.“ Er
drückt zwei Finger gegen seine noch immer blutende Unterlippe, um daraufhin
seine rotgefärbten Fingerkuppen mit ungläubigem Kopfschütteln zu betrachten.
Dann grinst er sie frech an. „Ich fürchte nur, der wird dir nichts nützen“,
ergänzt er mit gespieltem Bedauern und reicht ihr gemächlich ihre Sachen.
    Schweigend nimmt sie diese
entgegen und sieht unsicher zu ihm auf. „Was heißt das?“
    Mit unheilvoll herausfordernder
Miene hebt er eine feingeschwungene Braue. „Früher oder später landest du
ohnehin in meinem Bett“, erklärt er ihr nun unumwunden. Ihrer bestürzten Miene
zollt er ein gehässiges Lachen. Dann schwingt er sich mit einem Satz auf sein
gewaltiges Pferd. Eindringlich sieht er auf Joan hinab. „Spätestens in deiner
Hochzeitsnacht werde ich von meinem Recht der ersten Nacht Gebrauch machen“,
verkündet er mit unverhohlener Häme, die an seinen Worten keinen Zweifel lässt,
und kostet das Entsetzen auf ihrem Gesicht grinsend aus. Sein Blick wandert an
ihr herab, so dass sie erschrocken ihre Kleider vor den bloßen Oberkörper
presst.
    „Bis dann, schöne Joan“, ruft
er spöttisch, wobei er dem riesigen Tier die Sporen in die Seiten schlägt, dass
es wiehernd vor ihr hochgeht. Er wirft ihr einen galanten Handkuss zu. „Und
erhalte mir deine Jungfräulichkeit“, ruft er noch, bevor er das Pferd lachend
herum reißt und auf ihm in Richtung Thornsby Castle davonstiebt.
    Joan blickt ihm aufgewühlt
nach, bis er außer Sicht ist. Er, der neue Lord.

Der Fluch - Gut
gemeinte Ratschläge
    Joan
überschreitet die steinerne Schwelle des ärmlichen Bauernhauses, das sie seit
etwa zwei Jahren mit Dorrit und deren Familie bewohnt. Nach dem Verrat ihres
Vaters hatte Dorrit, ihre einstige Amme, dem Werben des verwitweten Bauern
Albert nachgegeben und ihn geheiratet. Die beiden sind wie ein Herz und eine
Seele. Man nennt ihn scherzhaft den Erdbeerbauern, da er es wie kein anderer
versteht, die begehrten Früchte in seinem Garten auf eine Art zu ziehen, welche
die Blütezeit der Pflänzchen sowohl verzögert als auch vorverlegt, so dass man
wohl gestaffelt über Frühling und Sommer in den Genuss der süßen Früchte kommt.
Zudem gelang es ihm, den Ertrag der einzelnen Pflanzen zu steigern, was es ihm
insgesamt erlaubte, Thornsby Castle mit seinen Erdbeeren zu beliefern. Er hatte
kaum andere Abgaben zu entrichten. Das Wissen bezog er von einem alten Mönch
aus der nur wenige Meilen entfernten Zisterzienserabtei, welche mit weiten
Ländereien östlich von Thornsby belehnt wurde. Die Früchte jedoch größer zu
züchten, gelang beiden bisher noch nicht. ... Seit die Festung nahezu verwaist
ist, kommt Albert in den Genuss, die Erdbeeren mit seiner Familie selbst essen
zu dürfen. Man entrichtete Thornsby Castle kaum noch Abgaben. Es waren gute
Zeiten für die Bauern. Doch sind diese wohl mit dem heutigen Tage
unwiederbringlich vorüber. Albert hat vier Kinder, die er nun gemeinsam mit
Dorrit groß zieht.
    Joan entschlüpft ihren aus
Lindenholz geschnitzten Pantinen, bevor ihr auch schon Dorrits tiefe
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