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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees
Autoren: Evelyn Holmy
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noch
ahnungslosen Herrn zutreibt. Joans Gedanken überschlagen sich fieberhaft. Dann
wird sie ganz ruhig. Mit vorsichtigen Bewegungen bricht sie einen Rohrkolben
ab, um ihn lautlos unter Wasser zu teilen, so dass ein längeres, durchgängig
hohles Stück entsteht. Dieses steckt sie sich in den Mund und blickt wieder nach
vorn zu ihrem Schnürleibchen. Eine große Hand greift danach und der Mann
betrachtet es verwundert.
    Joan taucht behutsam ab. Unter
Wasser öffnet sie die Augen. Sie ist von trübem Grün umgeben, in welchem sie
sich schrittweise in tieferes Wasser begibt. Nur weg von Pferd und Reiter. Mit
zunehmendem Abstand von ihnen wiegt sie sich allmählich in Sicherheit und
hofft, er möge ihre restlichen verborgenen Sachen nicht auch noch entdecken.
Als sie ihre Position für günstig befindet, verharrt sie in leichter Hocke nahe
dem schilfbestandenen Ufer. Zögernd wendet sie sich in jene Richtung zurück,
aus welcher sie kam, und kann gerade noch einen dunklen Schatten neben sich
ausmachen, als sie auch schon grob an ihren Haaren nach oben gezerrt wird.
Erschrocken holt sie tief Luft, während sie sich vom schlammigen Grund abstößt.
Prustend kommt sie über Wasser und sieht ihm direkt in die Augen. Er hält sie
an ihren langen Haaren und blickt ihr grinsend ins Gesicht herab.
    „Was haben wir denn da?“ Seine
spottgeladene Stimme ist rau und dunkel. „Beobachtest du hier regelmäßig nackte
Männer beim Baden?“
    Mit einem wütenden Aufschrei
umklammert sie ihr Haar unterhalb seiner Hand. „Lasst mich los!“
    Er lässt sie tatsächlich los,
wobei er frech ihren bloßen Oberkörper betrachtet.
    Joan läuft rot an. Eilends
bedeckt sie ihren Busen mit den Händen. Er ist annähernd zwei Köpfe größer als
sie und blickt auf sie mit vor der Brust verschränkten Armen selbstsicher
grinsend herab. In einer Hand hält er ihr Schnürleibchen.
    „Was fällt Euch ein?“ Joan ist
empört ob seiner Dreistigkeit und betrachtet ihn mit zusammengezogenen
Augenbrauen. Seine Nacktheit scheint ihn nicht im Geringsten zu stören. Er
sieht sie aus tiefblauen Augen, die von langen, geschwungenen Wimpern umrahmt
werden, an. Seine Züge sind ebenmäßig und harmonisch, malen ein wohl
anzusehendes Gesicht mit einem Grübchen am Kinn und einem in der rechten Wange,
das jedoch nur hervortritt, wenn er lacht. Und daran lässt er es im Moment
nicht mangeln. Dieses ansehnliche Gesicht hätte sie wohl im Normalfall ohne weiteres
für sich einnehmen können. Doch es ist trügerisch, wie sie fühlt. Und ihrem
Gefühl traut sie bedenkenlos. Noch nie hatte sie der erste Eindruck eines
Menschen getrügt. Sie spürt, dass etwas mit ihm nicht stimmt und ist alarmiert.
Auch seine plötzliche Ernsthaftigkeit und das unheimliche Aufleuchten in seinen
Augen vermögen alles andere, als ihr Misstrauen zu schmälern.
    „Wie ist dein Name?“
    „Wer will das wissen“, fragt
sie kühn zurück, woraufhin er verhalten auflacht.
    „Was für ein freches kleines
Ding!“ Er reicht ihr das Leibchen entgegen und sein Grinsen wird noch breiter,
als Joan es ihm nicht abnimmt, da sie sonst eine Brust entblößen müsste.
Daraufhin lässt er es gleichgültig vor ihr ins Wasser fallen. „Dein Einfall mit
dem Rohr war gut. Aber du hast vergessen, dein Haar mit nach unten zu nehmen.“
    Sie kneift ihre Augen zu zwei
Schlitzen zusammen. Dass er sie obendrein noch verspottet, empfindet sie als
Gipfel seiner Frechheit.
    Plötzlich streckt er eine Hand
aus und ergreift ihr langes, blondes Haar. Er lässt es zwischen seinen Fingern
wieder ins Wasser gleiten, wobei er den Blick nicht von ihr abwendet. Offenbar
hat es ihm die Sprache verschlagen.
    „Habt Ihr noch nie eine nackte
Frau gesehen?“ Beinahe hochmütig wirft sie in dem Versuch, ihre Unsicherheit zu
überspielen, den Kopf zurück, fördert sich damit spielerisch das Haar aus der
Stirn und weicht unmerklich einen Schritt zurück. Überdeutlich ist sie sich
ihrer Ausgeliefertheit bewusst. Insgeheim hofft sie, er möge nicht zu jenen
grobschlächtigen Waffenmännern zählen, die ritterlichem Verhalten wenig
erübrigen.
    „Eine so schöne selten“,
murmelt er versonnen. Er hat die dichten Wimpern niedergeschlagen und
betrachtet sie anzüglich. Ein verbitterter Zug umspielt flüchtig seinen Mund.
Doch es entgeht Joan nicht. Jäh spürt sie seine Verlorenheit, welche sie nur
noch argwöhnischer stimmt. Er kommt ihr mit einem Male wie ein gehetztes,
waidwundes Tier vor, welches vor nichts mehr
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