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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees
Autoren: Evelyn Holmy
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kleine Kräutersichel
ein, die noch im Korb liegt. Behände angelt sie diese unter Dorrits Händen
hervor, welche die Kräuter kritisch untersuchen. In der hintersten Ecke des
Raumes hängt sie die Sichel an einen Nagel im Gebälk, sicher vor dem jüngsten
von Dorrits Ziehkindern. Als sie sich in der Beengtheit dieses Winkels wieder
umwendet, stürzt sie beinahe über eine der flachen Holzpritschen, die ihnen mit
ihren als Unterlage dienenden Strohsäcken und obenauf liegenden leichten
Wolldecken zur Schlafstätte gereichen. Es ist stickig und der beißende Rauch
von der offenen Feuerstelle in der Mitte des Raumes, einem aus Lehm und
Feldsteinen gefügten Kochofen, über dem ein Kessel hängt, schnürt einem den
Atem ab. Doch man gewöhnt sich schnell wieder daran, wenn man sich ein wenig im
Hause aufhält. Es bleibt einem auch nichts weiter übrig, denn die kleinen Luken
in den Wänden aus lehmbeworfenem Flechtwerk lassen nur wenig frische Luft
herein und der Qualm zieht schlecht durch die kleine Öffnung in der Mitte des
strohgedeckten Daches ab, da die warme Luft von draußen darauf drückt. Die
einzige Zier an den Wänden besteht aus getrockneten Kräutern, Beeren und
Dörrobst, mäusesicher an lange Hanfstricke gehängt.
    „Wenn du unerkannt bleiben
möchtest, solltest du ein für alle Mal diesen grünen Flicken da ablegen und
Bauernkleidung tragen“, schlägt ihr Dorrit mit leisem Triumph vor, was Joan
heimlich mit den Augen rollen lässt. Wie oft wurde sie bisher von ihr damit ins
Gebet genommen, da Dorrit fürchtet, die Bauern könnten Joan mit Unverständnis
und Hohn begegnen. Denn selbst dieser grüne Fetzen nimmt sich noch von der
ärmlichen, grau in grau gehaltenen Kleidung der Bauern aus. Doch hatte sie ihre
Predigten zu Joans Freude bereits seit längerem aufgegeben. Es bestand kein
Anlass zur Besorgnis. Die Leute mögen die Tochter ihres ehemaligen Herrn,
zahlen ihr die gute Behandlung, welche er ihnen im Rahmen des Möglichen stets
angedeihen ließ, zurück.
    Dorrit holt die sorgfältig
gebündelten Kräuter hervor und runzelt die Stirn. „Was ist das?“
    Joan kommt an ihre Seite, um
ihr das leinene Säckchen mit den Hainbuchensprossen nachdenklich aus der Hand
zu nehmen. „Für Maria. Sie hat Blutungen. Ich hoffe, sie behält dieses Mal ihr
Kind. Ihr liegt so viel daran.“ Sie blickt auf. „Ich gehe am besten gleich zu
ihr.“
    „Die Brotsuppe ist fertig“,
wendet Dorrit jedoch zu Joans Befürchtung ein und nickt zum Topf über der
Feuerstelle, in dem altbackenes Brot mit Innereien und ein wenig Liebstöckel,
Wiesenkümmel und Schalotten unter Verströmung von Düften, welche Joans Nase nur
schwerlich erfreuen können, vor sich hin köcheln. Es sind die Innereien des
Keilers, der noch in der Scheune abhängt. Albert hatte das Tier mit einem
befreundeten Bauern kürzlich erlegt. Denn die Wilderei hat sich zum
willkommenen Zubrot entwickelt, seitdem das Lehen herrenlos ist. Doch Joans
Abneigung gegen Innereien wird sie die Suppe verschmähen lassen, obgleich sie
hungrig ist. Insgeheim hofft sie, etwas von Marias berühmtem Gemüseeintopf mit
Speck angeboten zu bekommen. Im Gegensatz zu all den anderen Dingen, die das
bäuerliche Leben ausmachen, wird sie sich mit ihrer verwöhnten Zunge wohl nie
an die ärmlichen Speisen des niedersten aller Stände gewöhnen. Mit Ausnahme von
gegartem Gemüse, welches sie für sich entdeckte. Insbesondere die ständigen
Grützen aus Hafer, Gerste oder Hirse hängen ihr zum Halse heraus.
    „Die anderen müssen jeden
Augenblick hier sein. ... Obendrein ist es beinahe dunkel. Vielleicht ruht
Maria bereits!“
    „Es war ausgemacht, dass ich
noch heute Abend vorbeikomme“, beharrt Joan, woraufhin Dorrit hilflos die Arme
hebt. So, wie sie es für gewöhnlich immer tut, wenn sie ihr letzten Endes
nachgibt. Dann bricht sie eine kleine Ecke vom Brot ab, welches eher an ein
Fladenbrot denn an einen bauchigen Laib erinnert, da Dorrit es unter dem
umgestülpten Kessel buk, um die Gebühren für die Benutzung des herrschaftlichen
Backofens einzusparen. Besorgt reicht sie ihr den Kanten Brot. „Gebt auf Euch
Acht“, rät sie warmherzig.
    Joan seufzt. „DU“,
verbessert sie ungeduldig, während sie dankbar das schwere Brot entgegen nimmt
und hungrig abbeißt. Dorrit hat es mit Hirse, Kleie und gedörrten Birnen
gestreckt.
    Ihre einstige Amme hatte auf
die kleine Zurechtweisung hin entnervt nach oben gegen das Strohdach gesehen.
Der Anblick ihres heißhungrig essenden
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