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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees
Autoren: Evelyn Holmy
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Stimme
entgegen schlägt.
    „Kind, wo habt Ihr bloß Eure
Gedanken!“ Die dralle, große Frau hat sich mit in die Seite gestemmten Händen
vor Joan aufgebaut. Die Ärmel ihres derben, dunkelgrauen Hanfgewandes, welches
unzählige Flicken aufweist und ihr an der Seite etwas geschlitzt bis zu den
Knöcheln reicht, sind nach oben über ihre fleischigen Unterarme gezogen. Ein
leinenes Tuch gereicht ihr, vorn unter den Gürtel über der breiten Taille
gesteckt und bis zu den Knien herabfallend, zur Schürze. Ihre einfache Haube
sitzt etwas schräg, worauf ihr etliche braune Haarsträhnen ins verschwitzte,
gerötete Gesicht fallen und unter ihrem verständnislosen Kopfschütteln hin und
her baumeln.
    „Ihr wart wieder im Weiher“,
stellt sie mit missfälligem Ton fest, wischt die Hände flüchtig an der Schürze
ab und berührt prüfend Joans strähniges Haar. Ihr Blick wandert zum
zerknitterten, grünen Kleid ihres Ziehkindes. Es ist aus feinem Tuch, doch
mittlerweile verwachsen. Die seitliche Schnürung kann nicht mehr länger
ausgereizt werden. Es reicht ihr nunmehr nur noch bis knapp über die Knöchel,
ist vom vielen Tragen verblichen und trotz Dorrits Flickkünsten hoffnungslos
zerschlissen. Joan trug es bereits damals auf der väterlichen Burg am liebsten.
Als Dorrit es berührt, ist es noch feucht, was diese vernehmlich seufzen lässt.
    Joan blickt etwas betreten nach
unten in Richtung ihrer nackten Füße auf der aus Stroh und Binsen bestehenden
Lage über dem kühlen, festgestampften Lehmfußboden. „Ich habe die Zeit vergessen“,
rechtfertigt sie sich kleinlaut. Wie sie es hasst, wenn Dorrit sie derart
bevormundet! Dann kommt sie sich wieder wie ein kleines, rotznäsiges Kind vor.
Dabei ist sie längst erwachsen. Doch weiß sie, dass Dorrit es nur gut mit ihr
meint. Sie räuspert sich. „Aber sieh, der Tag im Wald hat sich gelohnt“, lenkt
sie ab, wobei sie ihr den Korb reicht.
    Dorrit nimmt ihr diesen
brummend ab und lugt hinein. „Wenigstens habt Ihr an die Minze gedacht.“ Sie
blickt Joan vorwurfsvoll an. „Ich habe mich um Euch gesorgt. Der neue Earl hat
heute die Burg bezogen. Seine Männer sind überaus wild und streifen überall
umher.“ Sie seufzt erneut, diesmal mit bekümmerter Miene. „Das lässt nichts
Gutes ahnen. ... Den Herrn erkennt man an seinem Gesinde. Ich fürchte, die unbeschwerten
Jahre gehören der Vergangenheit an“, meint sie besorgt und spricht Joan damit
aus der Seele.
    „Ja, ich habe sie bemerkt“,
murmelt sie geknickt, was Dorrit argwöhnisch aufblicken lässt. Schwermütig
durchatmend schiebt Joan ihr Erlebnis beiseite. Entschlossen reckt sie das
Kinn. „Dorrit, du solltest nun erst recht die Förmlichkeiten lassen und mich
endlich mit DU anreden. Meine herrschaftlichen Zeiten sind ein für alle Mal
vorüber.“
    Dorrit jedoch zuckt
gleichgültig die Schultern. „Ich hab’s versucht. Doch diese Gewohnheit werde
ich wohl auf meine alten Tage nicht mehr los“, erwidert sie und wendet sich dem
Tisch zu.
    „Das solltest du aber, denn ich
möchte, dass dem neuen Lord meine wahre Identität so lange wie möglich
verborgen bleibt“, wendet Joan unbeirrt ein.
    „Jeder hier weiß es“, tut
Dorrit beharrlich ab, während sie den Korb auf den Tisch stellt.
    Dorrits Starrsinn lässt Joan
sich nicht zum ersten Male in Beherrschung üben. Und um Joans
Selbstbeherrschung ist es überwiegend nicht gut bestellt. Ist es doch ihr
eigener, nicht zu verachtender Dickschädel, der dieser Tugend zumeist in
hitzigen Ausbrüchen den Rang abläuft. Und nicht zum ersten Male fragt sie sich
ernsthaft, wessen Dickkopf wohl vor dem des anderen da war. Tief durchatmend
lässt sie den Blick zum dunklen Laib eines frischen Roggenbrotes auf dem Tisch
wandern, nach dem sie sich heimlich verzehrt. Es verströmt einen betörenden
Duft. Frisches Brot kommt nicht alle Tage auf den Tisch, da man auf Vorrat im
öffentlichen Ziegelbackofen des Lehens bäckt. So isst man zumeist altbackenes
oder gar das erhärtete, aufgeweicht in Suppen oder Mus. Früher hatte Joan
dunkles Brot stets verschmäht. Es war ihr zu dicht und zu schwer. Das hingegen
luftige Brot der Herren ist weiß und aus feinem Weizenmehl. Joan begnügt sich
nun mit einem der gerösteten Breifladen auf dem Tisch und äugt nach dem
Holzkrug mit Molke daneben, der von einem flackernden Talglicht aus gelbem
Rinderfett beschienen wird. Letzteres erhellt den Raum zusammen mit dem Feuer
der Kochstelle mehr schlecht als recht. Joan fällt ihre
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