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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen
Autoren: Bernard Werber
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hellgraue Iris der Augen. Frohgemut lief sie durch den frühen Märzmorgen. Ihre Brust hob und senkte sich vor Anstrengung.
    Auf ihrer Stirn und über dem Mund perlten Schweißtropfen, die sie rasch einsog, als sie ihr in die Mundwinkel liefen.
    Das junge Mädchen mit den hellgrauen Augen hieß Julie und war neunzehn Jahre alt. Sie streifte mit ihrem Vater Gaston und ihrem Hund Achille durch den Wald. Plötzlich blieb sie abrupt stehen. Vor ihr ragte wie ein riesiger Finger ein Granitfelsen über einer Schlucht auf.
    Sie trat bis zur Felsspitze vor.
    Unterhalb schien ein Weg zu verlaufen, der abseits der ausgetretenen Pfade zu einem kleinen Tal führte.
    Julie legte ihre Hände trichterförmig vor den Mund. »He, Papa, ich glaube, ich habe einen neuen Weg entdeckt! Komm her!«

3. VERKETTUNG
    Sie läuft geradeaus, rast den Abhang hinunter, weicht den Pappelschößlingen aus, die wie purpurrote Spindeln um sie herum aufragen.
    Flügelschlagen. Schmetterlinge entfalten ihre schillernden Schwingen und jagen einander in der wirbelnden Luft.
    Ein hübsches Blatt zieht ihren Blick auf sich, ein köstliches Blatt von der Sorte, die einen alle Vorhaben vergessen läßt. Sie weicht von ihrem Weg ab, nähert sich.
    Ein wunderbares Blatt! Man braucht es bloß viereckig zurechtschneiden, ein bißchen zu zermahlen und einzuspeicheln, damit es in Gärung übergeht und eine kleine weiße Kugel voll süß duftender Myzelien ergibt. Mit ihren Mandibeln trennt die alte rote Ameise den Stiel ab und wuchtet das Blatt wie ein riesiges Segel über ihren Kopf.
    Bedauerlicherweise kennt sich das Insekt nicht mit den Gesetzen des Segelns aus. Kaum ist das Blatt gehißt, fängt es den Wind. Trotz ihrer Kraft ist die alte rote Ameise als Gegengewicht viel zu leicht. Sie gerät aus dem Gleichgewicht und ins Schwanken. Mit allen Beinen klammert sie sich an den Ast, aber die Brise ist viel zu stark. Die Ameise wird fortgerissen und hebt ab.
    Sie läßt ihre Beute gerade noch rechtzeitig los, bevor die Höhe bedrohlich werden könnte.
    Das Blatt schwebt träge nach unten.
    Die alte Ameise beobachtet es und sagt sich: Nicht weiter schlimm, es gibt genügend andere, kleinere Blätter.
    Das Blatt kreiselt sehr lange, bis es sanft auf dem Boden landet.
    Eine Nacktschnecke bemerkt das hübsche Pappelblatt. Welch leckerer Schmaus in Aussicht!
    Eine Eidechse sieht die Schnecke und will sie verschlingen, da entdeckt auch sie das Blatt. Lieber warten, bis die Schnecke es sich einverleibt hat, dann wird sie noch saftiger sein. Sie belauert die Mahlzeit aus der Ferne.
    Ein Wiesel wird auf die Eidechse aufmerksam und will sie fressen, als es bemerkt, daß diese darauf zu warten scheint, daß die Schnecke das Blatt verzehrt. Es beschließt, sich ebenfalls zu gedulden. Drei Lebewesen, die einander ökologisch ergänzen, harren geduldig aus.
    Plötzlich sieht die Schnecke, daß eine andere Schnecke angekrochen kommt. Ob die ihr den Schatz rauben will? Ohne Zeit zu vergeuden, macht sie sich über das verlockende Blatt her und verschlingt es bis zur letzten Faser.
    Kaum hat sie ihre Mahlzeit beendet, stürzt sich die Eidechse auf sie und saugt sie wie eine Nudel auf. Jetzt ist der Augenblick für das Wiesel gekommen, einen Satz zu machen und sich die Eidechse zu schnappen. Es läuft los, springt über die Wurzeln, stößt aber unvermutet gegen etwas Weiches …
     

4. EIN NEUER WEG
    Das junge Mädchen mit den hellgrauen Augen sah das Wiesel nicht kommen. Es sprang plötzlich aus einem Dickicht und prallte gegen ihre Beine.
    Vor Schreck glitt ihr Fuß über den Rand des Granitfelsens.
    Aus dem Gleichgewicht gebracht, sah sie den gähnenden Abgrund unter sich. Nicht fallen, bloß nicht fallen!
    Sie ruderte wild mit den Armen. Die Zeit schien stillzustehen.
    Würde sie abstürzen oder nicht?
    Einen Augenblick lang glaubte sie, es schaffen zu können, aber eine leichte Brise griff in ihre langen schwarzen Haare und verwandelte sie in ein zerzaustes Segel.
    Alles verschwor sich gegen sie. Der Wind blies. Ihr Fuß rutschte noch ein Stück ab. Der Boden gab nach. Sie riß ihre hellgrauen Augen weit auf. Ihre Pupillen weiteten sich. Die Wimpern flatterten.
    Es gab kein Halten mehr. Sie stürzte in die Schlucht. Beim Fallen bedeckten die langen schwarzen Haare ihr Gesicht, als wollten sie es schützen.
    Sie versuchte sich an den wenigen Pflanzen festzuklammern, die auf dem Steilhang wuchsen, aber sie boten keinen Halt, und Julies Hoffnungen zerstoben, denn ihre Finger
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