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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen
Autoren: Bernard Werber
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sich genau überlegte: Wann dachte sie schon an ihre Zähne, solange sie sich nicht mit Karies meldeten?
    Ebenso nahm man das Vorhandensein eines Blinddarms nur im Fall einer Entzündung zur Kenntnis. In ihrem Körper mußte es eine ganze Menge Organe geben, von deren Dasein sie nichts wußte, weil sie bisher nie so unhöflich gewesen waren, durch Schmerzsignale auf sich aufmerksam zu machen.
    Ihr Blick fiel wieder auf den Koffer. Dieses Ding aus dem Innern der Erde faszinierte sie. Sie nahm ihn zur Hand und schüttelte ihn. Das Schloß war mit einer Zahlenkombination aus fünf Zahnrädern gesichert.
    Der Koffer bestand aus dickem Metall, dem nur eine Bohrmaschine etwas anhaben könnte. Julie betrachtete das Schloß. Jedes Zahnrad war mit Ziffern und Symbolen versehen. Sie spielte auf gut Glück daran herum. Die Chance, zufällig die richtige Kombination zu finden, war vielleicht eins zu einer Million.
    Erneut schüttelte sie den Koffer. Er enthielt etwas Wichtiges, einen einzigartigen Gegenstand, davon war sie überzeugt, und das Geheimnis spannte sie auf die Folter.
    Ihr Vater kam mit dem Hund ins Zimmer. Er war groß, fröhlich, rothaarig und trug einen Schnurrbart. In seiner Golfhose sah er wie ein schottischer Jagdhüter aus. »Geht’s dir besser?« fragte er.
    Sie nickte.
    »Du bist in eine Schlucht gefallen, zu der man nur durch eine Mauer aus Brennesseln und Dornen gelangt«, erklärte er. »Die Natur hat sie vor Neugierigen und Spaziergängern geschützt.
    Sie ist nicht einmal auf der Karte eingezeichnet. Zum Glück hat Achille dich gewittert. Was wären wir ohne Hunde!«
    Er tätschelte liebevoll seinen Irish Setter, der zum Dank einen silbrigen Speichelfaden auf das Hosenbein tropfen ließ und freudig japste.
    »Was für eine Geschichte!« fuhr Gaston fort. »Merkwürdig, dieses Zahlenschloß. Vielleicht ist es eine Art Tresor, den Einbrecher nicht aufbekommen haben.«
    Julie schüttelte ihre dunkle Mähne. »Nein.«
    Ihr Vater dachte über die Sache nach. »Wenn Münzen oder Goldbarren drin wären, wäre er viel schwerer, und wenn es Geldscheine wären, würde man sie rascheln hören. Vielleicht sind es Drogen. Oder … eine Bombe.«
    Julie zuckte mit den Schultern. »Oder der Kopf eines Menschen.«
    »Dann hätten Jivaro-Indios erst einen Schrumpfkopf daraus machen müssen«, wandte er ein. »Dein Köfferchen ist für einen normalen Menschenkopf viel zu klein.«
    Er schaute auf die Uhr, erinnerte sich an eine wichtige Verabredung und verließ das Zimmer. Sein Hund folgte ihm schwanzwedelnd und laut hechelnd.
    Wieder schüttelte Julie ihren Koffer. Sollte sich tatsächlich ein Kopf darin befinden, hatte sie ihm durch das viele Rütteln bestimmt die Nase gebrochen. Plötzlich widerte das Ding sie an, und sie beschloß, sich nicht mehr damit zu beschäftigen. In drei Monaten hatte sie Abitur, und wenn sie nicht noch ein Jahr in der letzten Klasse verbringen wollte, mußte sie jetzt ihren Stoff wiederholen.
    Also nahm sie ihr Geschichtsbuch heraus und fing mit der Lektüre an. 1789. Die Französische Revolution. Der Sturm auf die Bastille. Chaos. Anarchie. Die Größen jener Zeit: Marat, Danton, Robespierre, Saint-Just. Terror. Die Guillotine …
    Blut, Blut und nochmals Blut. Die Geschichte ist nur eine Aneinanderreihung von Gemetzeln, dachte sie und klebte sich ein Pflaster auf eine Abschürfung, die wieder blutete. Je weiter sie las, desto deprimierter fühlte sie sich. Die Guillotine erinnerte sie an den Kopf im Koffer.
    Fünf Minuten später machte sie sich mit einem großen Schraubenzieher über das Schloß her. Der Koffer ließ sich nicht knacken, nicht einmal, als sie mit einem Hammer auf den Schraubenzieher klopfte, um die Hebelwirkung zu verstärken.
    Ich brauchte eine Brechstange, dachte sie, und dann: Verdammt, ich schaff’s nie!
    Sie nahm sich wieder ihr Geschichtsbuch und die Französische Revolution vor. Der Volksgerichtshof. Der Konvent. Die Hymne von Rouget de Lisle. Die blau-weiß-rote Fahne. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Der Bürgerkrieg.
    Mirabeau. Chénier. Der Prozeß gegen den König. Und immer wieder die Guillotine … Wie sollte man sich für diese vielen Massaker erwärmen?
    In einem Deckenbalken knisterte es. Eine Termite. Das rührige Insekt brachte sie auf eine Idee.
    Horchen.
    Sie legte ein Ohr ans Kofferschloß und drehte langsam am ersten Rädchen, bis sie ein ganz leises Klicken hörte. Das Zahnrad war eingeschnappt. Diesen Vorgang wiederholte sie noch viermal, und
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