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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen
Autoren: Bernard Werber
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tatsächlich sprang das Schloß quietschend auf. Ihr empfindliches Gehör war ein besseres Werkzeug gewesen als Schraubenzieher und Hammer.
    An den Türrahmen gelehnt, staunte ihr Vater: »Du hast es aufgekriegt? Wie denn?«
    Er betrachtete die Kombination. Sie lautete: 1 + 1 = 3.
    »Hmm, sag mir nichts, ich weiß schon. Du hast nachgedacht.
    Da waren drei Zahnräder mit Ziffern, dazwischen zwei mit Symbolen. Daraus hast du geschlossen, daß es sich um eine Gleichung handeln muß. Und dann hast du dir gedacht, daß jemand, der ein Geheimnis hüten will, nicht auf eine logische Gleichung wie 2 + 2 = 4 zurückgreift. Also hast du es mit 1 +
    1 = 3 versucht. Diese Gleichung findet sich oft in alten Riten.
    Sie bedeutet, daß zwei Talente gemeinsam mehr vermögen, als man zunächst glauben mag.«
    Julies Vater zog seine rotblonden Brauen hoch und strich sich den Schnurrbart glatt: »So bist du doch vorgegangen, stimmt’s?«
    Julie betrachtete ihn mit einem spöttischen Leuchten in ihren hellgrauen Augen. Ihr Vater mochte es nicht, wenn man sich über ihn lustig machte, sagte aber nichts. Sie lächelte: »Nein.«
    Dann drückte sie auf den Verschluß, und der Deckel des würfelförmigen Koffers sprang auf. Vater und Tochter beugten sich darüber.
    Mit ihren verschrammten Händen holte Julie den Gegenstand heraus und hielt ihn unter die eingeschaltete Schreibtischlampe.
    Es war ein Buch. Eine dicke Schwarte, aus der an manchen Stellen eingeklebte Zeitungsausschnitte ragten. In kalligraphischen großen Lettern stand ein Titel auf dem Umschlag:
     
    Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens von Professor Edmond Wells
     
    »Komischer Titel«, knurrte Gaston. »Dinge sind entweder relativ oder absolut. Sie können nicht beides zugleich sein. Das ist ein Widerspruch.«
    Darunter stand in kleinerer Schrift:

    Band III
    Und wieder darunter war eine Zeichnung: ein Kreis um ein Dreieck, dessen Spitze nach oben wies, und darin ein Ypsilon.
    Wenn man genauer hinschaute, sah man, daß das Ypsilon aus drei Ameisen bestand, die sich mit ihren Fühlern berührten.
    Die linke Ameise war schwarz, die rechte weiß, und die mittlere, die den Stamm des Ypsilons bildete, war halb weiß und halb schwarz.
    Unter dem Dreieck stand die Formel, mit der sich der Koffer öffnen ließ: 1 + 1 = 3.
    »Sieht wie ein altes Zauberbuch aus«, murmelte Gaston.
    Dagegen glaubte Julie, als sie den glänzenden Einband betrachtete, daß es ganz neu sei. Sie strich zärtlich darüber. Er fühlte sich glatt und zart an.
    Sie schlug die erste Seite auf und las.

7. ENZYKLOPÄDIE
     
    Guten Tag: Guten Tag, unbekannter Leser.
    Zum drittenmal Guten Tag oder auch zum erstenmal. Ehrlich gesagt, ob Sie dieses Buch als erstes oder als letztes entdecken, spielt überhaupt keine Rolle.
    Dieses Buch ist eine Waffe, um die Welt zu verändern.
    Nein, lächeln Sie nicht. Das ist möglich. Sie können es.
    Jemand braucht etwas nur wirklich zu wollen, damit es wahr wird. Eine winzige Ursache kann eine große Wirkung zeitigen.
    Es heißt, der Flügelschlag eines Schmetterlings in Honolulu genüge, um in Kalifornien einen Taifun zu entfesseln. Und Ihr Atem ist doch stärker als der Flügelschlag eines Schmetterlings, oder?
    Ich bin tot. Leider kann ich Ihnen deshalb nur indirekt helfen, mit diesem Buch.
    Ich schlage Ihnen vor, eine Revolution anzuzetteln. Oder vielleicht sollte ich lieber sagen: eine »Evolution«. Denn unsere Revolution braucht weder so gewaltsam noch so spektakulär wie die früheren Revolutionen zu sein.
    Ich stelle sie mir eher als geistige Revolution vor. Eine Revolution der Ameisen. Unauffällig. Gewaltlos. Eine Reihe kleiner Veränderungen, die man für unbedeutend halten könnte, die aber zusammengenommen schließlich Berge versetzen.
    Ich glaube, daß frühere Revolutionen sich durch Ungeduld und Intoleranz versündigten. Auch die Utopisten planten nur kurzfristig voraus, weil sie um jeden Preis noch zu ihren Lebzeiten die Früchte ihrer Arbeit sehen wollten.
    Man muß aber lernen zu säen, damit andere später und andernorts ernten können.
    Reden wir darüber. Während unseres Dialogs steht es Ihnen frei, mir zuzuhören oder wegzuhören. (Dem Kofferschloß haben Sie bereits gelauscht, das ist also ein Beweis, daß Sie zuhören können, nicht wahr?)
    Möglicherweise irre ich mich. Ich bin kein Meisterdenker, auch kein Guru oder Heiliger. Ich bin ein Mensch, der sich bewußt ist, daß das Abenteuer der Menschheit erst ganz am Anfang steht. Noch
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