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Die Reise nach Uruk

Die Reise nach Uruk

Titel: Die Reise nach Uruk
Autoren: Vampira VA
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nur ein Zerrbild seiner wahren Gestalt erkennen.
    Elisabeth schloß die Augen, um ihn so in ihrem Herzen zu bewahren, wie er sie eine lange Strecke Zeit begleitet hatte. In ihrem Vorleben - dem Leben, das sie in der Zukunft geführt und das in der Zukunft geendet hatte - wäre es ihr wahrscheinlich unvorstellbar erschienen, Alltag und Zärtlichkeit mit einem Mann zu teilen. Als Beth MacKinsey war sie ihrem eigenen Geschlecht zugetan gewesen, und ganz davon freimachen konnte sie sich auch heute noch nicht.
    Aber Sexualität besaß in diesem Leben längst nicht mehr den Stellenwert, den sie für Beth MacKinsey, die Reporterin des Sydney Morning Herald, gehabt hatte. Jene Beth war jung gestorben. An Elisabeth jedoch gaukelte nur noch die Hülle unzerstörbare Jugend vor. Ihr Bewußtsein aber war gealtert, war alt geworden. Mit Tobias. Und so hatte es ihr kaum ernsthaft zu schaffen gemacht, daß der Mann an ihrer Seite sowohl seine Attraktivität als auch seine Lust mit der Zeit verlor.
    Sie war damit zurechtgekommen. Andere mochten es schwer oder gar nicht verstanden haben, daß zwei äußerlich so auseinander driftende Menschen bis zuletzt zusammengeblieben waren, aber das war nicht Elisabeth' Problem. Für sie war es kein Opfer gewesen. Im Gegenteil: Sie vermißte Tobias schon jetzt, und das Wissen, ihn nie mehr zurückgewinnen zu können, zerriß ihr fast das Herz im Leibe.
    Trauer. Ich mache durch, was alle irgendwann durchmachen - manchmal mehrmals im Leben, dachte sie. Auch bei mir ist es schon einmal vorgekommen - damals, als ich mein eigenes Kind wie einen Greis sterben sah Sie öffnete die Augen, weil sie spürte, daß jemand zu ihr getreten war. Es war Salvat. Er schien ihr nicht nachzutragen, daß sie sein Angebot abgelehnt hatte.
    »Der Tod ist nicht das Ende«, sagte er.
    »Ich weiß«, sagte Elisabeth. Mehr nicht.
    Noch am selben Tag verließ sie das Kloster. Und kehrte nie mehr in dessen Mauern zurück. Sie sah auch Salvat nie wieder. Ihn nicht und keinen seiner Illuminaten. Dort, wohin ihr Weg sie führte, schien es die Gefahr, von der Salvat orakelt hatte, sie beträfe jeden und sei keineswegs für alle Zeit gebannt, nicht zu geben.
    Dafür gab es andere Schrecken. Elisabeth wußte es. Denn sie reiste auf ihren eigenen Spuren, war den Weg schon einmal gegangen. Der Unterschied war, daß sie diesmal fest entschlossen war, ihn bis zum Ende zu gehen - und das Wagnis auf sich zu nehmen, von dem Tobias in seinen letzten Atemzügen gesprochen hatte .
    *
    Gegenwart
    Zagros-Gebirge, im Grenzgebiet zwischen Iran und Irak
    Das Schnaufen der alten Dampflok drang bis in die hintersten Abteile. Es war Nacht, und ein Blick aus dem Fenster zeigte eine schroffe, mondlichtübergossene Felslandschaft, deren öde Einsamkeit Neli Salah von den üblichen Gedanken ablenkte, die sie quälten.
    Als Firan im Schlaf zu murmeln begann, drehte Neli den Kopf und begegnete dem kühlen Blick von Darius, noch bevor sie nach ihrem kleinen Sohn sehen konnte. Firan hatte auch schon wieder aufgehört, im Traum zu sprechen.
    »Ist etwas?« fragte Darius seine Frau. Er und Neli waren etwa gleich alt und kannten sich von Kindheit an. Sie waren im selben kleinen Dorf aufgewachsen, und mit fünfzehn war Neli erklärt worden, daß ihr Vater und der Vater von Darius sich einig geworden waren, sie beide zu verheiraten. Ein Jahr später hatte die Hochzeit stattgefunden, und bald darauf war Neli mit Firan schwanger geworden. Darius hatte Arbeit und eine kleine Wohnung in Bachtahan bekommen, und dort lebten sie seither zusammen mit Nelis Schwester und deren Mann, die ein paar Monate nach ihnen in die große Stadt gezogen waren.
    Firan war inzwischen sieben Jahre alt. Er war ihr einziger Nachwuchs, und die Ärzte behaupteten, es läge an Neli, daß sie Darius nicht mehr Kinder schenken konnte. Darius hatte ihr deswegen nie offen Vorhaltungen gemacht, aber manchmal, wenn sie nachts nicht schlafen konnte, spürte Neli seine Unzufriedenheit. Sie war sehr mager geworden in der letzten Zeit, und ihre großen dunklen Augen schienen das Gesicht fast völlig auszufüllen.
    »Nein, ich . Entschuldige.«
    Neli wandte den Blick von ihrem Mann und kämmte Firan fahrig durch die lackschwarzen, weichen Haare. Er atmete etwas lauter, wurde aber nicht wach.
    Außer ihnen saßen noch drei andere Passagiere in dem stickigen Abteil. Darius hatte seinen Fensterplatz direkt gegenüber von Neli. Auf dem mittleren Sitz neben ihm hockte eine alte, verschleierte
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