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Die Reise nach Uruk

Die Reise nach Uruk

Titel: Die Reise nach Uruk
Autoren: Vampira VA
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meinte.
    »Aus was besteht der Behälter?« fragte Elisabeth.
    »Es ist unerheblich. Die Frage ist: Willst du dich um ihn kümmern?«
    Tief in ihrer Brust schien sich ein Knoten zusammenzuziehen. »Was könnte ich denn für ihn tun? Wie du sagst, reagiert er nicht auf seine Außenwelt. Was hält ihn überhaupt am Leben? Ein Säugling wie er bräuchte Muttermilch und -«
    »Was das angeht, erhält er alles, was er braucht«, fiel Salvat ihr ins Wort, ohne aber ins Detail zu gehen. »Was er braucht, ist jemand, der nach ihm sieht und erkennt, wenn sich eine Veränderung anbahnt.«
    »Wer hat das sonst getan?«
    »Ich. Aber es wird der Tag kommen, da ich auch einmal längere Zeit fort sein werde. Dann muß jemand da sein, der ihn beaufsichtigt.«
    »Du hast die freie Auswahl unter Dutzenden von Ordensbrüdern und -schwestern .«
    »Du bist die einzige, die sowohl Erfahrung als Mutter wie auch die nötige Ausdauer mitbringt, eine Konstante in Raphaels Leben zu werden.«
    Erfahrung als Mutter . Elisabeth spürte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach. In ihrer Kehle bildete sich ein Kloß, und nur mit Mühe unterdrückte sie ein Zittern.
    Ohne jeglichen Vorwurf hatte Salvat die Sprache auf ihre weit zurückliegende Mutterschaft gebracht. Das Kind, das Elisabeth in dieser Zeit geboren hatte, war ein Alptraum, den sie überwunden zu haben glaubte. Doch die Reaktion ihres Körpers auf die von Salvat geweckte Erinnerung war eindeutig. Sie würde den Verlust und das grausame Schicksal ihres Kindes nie ganz verwinden.
    »Das ist lange her«, sagte sie schließlich. »Es ist, als wolltest du ein Neugeborenes in die Obhut einer uralten Frau geben, die längst vergessen hat, was es heißt, Mutter zu sein .«
    »Du würdest dich wieder erinnern, wenn es an der Zeit ist«, sprach Salvat ihr ein Vertrauen aus, das sie vor dieser Begegnung nicht für möglich gehalten hätte.
    »Nein .« Elisabeth schüttelte den Kopf. »Ich verstehe dich jetzt besser und kann nachvollziehen, warum du meinst, ich wäre die richtige Wahl. Du erwartest, daß der Junge auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht aus diesem . Zustand erwacht. Deshalb suchst du jemanden, der langlebig genug ist, dich auf Dauer zu vertreten .«
    Salvat äußerte Zustimmung. Er war ehrlich. Er machte ihr nichts vor. In erster Linie das, was Elisabeth als ihren ganz persönlichen Fluch betrachtete, nahm ihn für sie ein.
    »Es bleibt dabei: Ich sage nein.« Sie wandte sich übergangslos der Tür zu.
    »Warte! «
    Sie blieb erst stehen, als sie draußen auf dem Gang stand.
    Salvat folgte ihr und schloß die Tür, wie er sie geöffnet hatte.
    »Es war dein letztes Wort in dieser Angelegenheit?« fragte er. Wenn er enttäuscht war, ließ er es nicht erkennen.
    »Mein letztes Wort«, bestätigte Elisabeth. »Ich werde mit nieman-den über das, was ich gesehen habe, sprechen. Ich denke, damit können wir beide leben?«
    »Eines Tages wirst du bereuen, daß du fortgegangen bist. Ein Kind ist eine Aufgabe .«
    »Ach ja? Dann stell du dich dieser Aufgabe. Es ist dein Kind!« Das du mit IHR gezeugt hast, fügte sie in Gedanken hinzu. Ihr grauste, und sie war froh, der Versuchung widerstanden zu haben, Salvats Angebot anzunehmen und damit das schlafende Kind zur Zielscheibe ihres inneren Zwiespalts zu machen.
    Verzeih Uruk!
    Aber Uruk war eine Wunde, die nie heilen würde. Nie. Und dort in jener Kammer lag jemand, der sich unweigerlich ihren Haß zugezogen hätte. Vielleicht nicht gleich, aber irgendwann.
    Denn Raphael war nicht nur Salvats Sohn.
    Er war auch das Kind der Frau, durch deren Hände Elisabeth in ferner Zukunft gestorben war .!
    *
    Am folgenden Tag stand Elisabeth dem Feuer, das Tobias verzehrte, am nächsten. Mitten auf dem Klosterhof war auf Salvats Geheiß hin ein Holzhaufen aufgetürmt worden, und obwohl der Anblick stark an einen Scheiterhaufen erinnerte, versuchte Elisabeth, versuchten alle Umstehenden, es einfach nur als die Erfüllung von Tobias Stifters eigenem, sehnlichen Wunsch zu sehen.
    »Mein Körper wird erkalten«, hatte er zu Lebzeiten häufig geäußert. »Und kalt ist es im Schoß der Erde. Aber ich will nicht frieren, wenn ich eines Tages abtrete. Ich will mich und andere ein letztes Mal erwärmen!«
    So sei es, dachte Elisabeth.
    Feiner Nieselregen fiel aus schnell über den Himmel jagenden Wolken. Die Tropfen zischten im Feuer, waren aber nicht in der Lage, es zum Erlöschen zu bringen. Rotgelbe Flammen verhüllten Tobias' Leichnam und ließen
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