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Die Reise nach Uruk

Die Reise nach Uruk

Titel: Die Reise nach Uruk
Autoren: Vampira VA
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getrieben? Hattest du Spaß?«
    Neli war wie vom Donner gerührt. Sie hatte das Gefühl, die Ab -teilwände, auch die Decke, kämen auf sie zu, um sie bei lebendigem Leib zu zerquetschen.
    Sie blinzelte heftig, und als sie wieder zu Darius sah, wünschte sie, sich seine Worte nur eingebildet zu haben. Lieber wollte sie den Verstand verlieren als - »War es einer, oder hast du gleich mit mehreren?«
    Sie wußte, daß er in dieser Hinsicht keinen Spaß verstand. Er klang auch nicht, als würde er scherzen.
    »Darius!« War er verrückt geworden? Firan schlief, aber alle anderen konnten, nein, mußten seine Anschuldigung gehört haben, so laut wie er gesprochen hatte! »Du . du weißt nicht, was du sagst! Bist du betrunken?«
    Es war eine absurde Frage. So absurd wie die ganze Situation, denn Darius hätte sich in der kurzen Zeitspanne ihrer Abwesenheit betrinken müssen, völlig nüchtern wie er vorher gewesen war.
    Neli roch auch jetzt keine Alkoholfahne. Es gab nichts, was dieses Verhalten auch nur in die Nähe der Normalität zurückgerückt hätte. Neli wäre am liebsten im Boden des Zugwagens versunken.
    »Warum sagst du es nicht, Mutter? Sag's ihm, damit ich weiterschlafen kann. Ihr seid so laut ...«
    Neli starrte ihren Sohn fassungslos wie ein Gespenst an. »Firan .«
    »Eine Frau«, sagte der zigarettenpaffende Pilger, »schuldet ihrem Mann vor allem anderen Ehrlichkeit. Er hat dir eine ganz einfache Frage gestellt. Du mußt doch noch wissen, mit wie vielen -«
    »Laß sie in Ruhe!« keifte die alte Beduinenfrau. »Warum mischst du dich ein? Es hat ihr Spaß gemacht, genügt das nicht als Grund? Ihre Wangen sind noch ganz rot. Sie sah glücklich aus, bevor sie sich in die Enge getrieben fühlte.«
    »Rot? Wie rot?« warf der Blinde ein. »Etwa ... Amaryllisrot? Ich mochte Amaryllisrot am liebsten von allen Farben, bevor mir die Syphilis das Augenlicht gestohlen hat ...!«
    Neli schrie gellend auf. Sie wollte gar nicht mehr aufhören zu schreien. Ihre Finger hatten sich in die Lehnen ihres Sitzes gekrallt, und neben ihr verfiel Firan in meckerndes Gelächter, das jedoch .
    . abrupt endete.
    Darius sagte: »Mach den Koffer auf!«
    Neli konnte den Blick nicht von Firan lösen. Ihr Sohn sah mit verklärtem Blick zu ihr empor, stumm, als stünde er unter Drogen.
    »Koffer?« echote sie.
    »Ihren Koffer«, sagte Darius, und diesmal mußte sie aufblicken, mußte sie seinem ausgestreckten Arm folgen, um zu begreifen, daß er das riesige Gepäckstück der Beduinenfrau meinte.
    »Warum sollte ich ...?«
    »Da drin ist ein Geschenk. Ein Geschenk von mir an dich.« Darius lächelte abwesend.
    »Ein Geschenk!« griff der Blinde die Äußerung wie ein Stichwort auf. »Welche Farbe hat es? Ama-«
    »Aufhören!« Neli preßte sich die Fäuste gegen die Schläfen. Der Krüppel schwieg beleidigt.
    »Du willst mein Geschenk nicht?«
    Neli wußte nicht, woher das jähe, furchtbare Gefühl - nein, die Überzeugung kam, mit diesem Mann noch nie zuvor zusammen gewesen, geschweige denn acht Jahre ihres Lebens verheiratet zu sein »Ich .«
    »Nimm es! Sieh es dir an! Wenn Männer schon mal Geschenke machen .« Die alte Beduinenfrau schien unter Nelis verzweifeltem Blick zu erstarren.
    »Sei nicht undankbar«, ergriff nun auch der Pilger das Wort. Neli hatte nicht gesehen, wie er sich eine neue Zigarette gedreht und angezündet hatte, aber das Stäbchen, das beim Sprechen in seinem Mundwinkel baumelte, war noch ganz neu. Nur an seiner Spitze glomm eine weiße Aschekrone.
    »Darius ...«
    »Ich war grob, ich weiß.« Ihr Mann zuckte die Schultern, beugte sich vor und legte die Hände auf ihre Knie. »Entschuldige. Ich wollte dich nicht bloßstellen.«
    Wie sollte sie ihm das glauben? Wie sollte sie eine Minute länger in einem Abteil bleiben, in dem sogar ein Blinder sie verächtlich anzustarren schien?
    »Was für ein Geschenk hat er für dich, Mutter?« fragte Firan.
    Neli war nicht in der Lage zu antworten. Die Situation erinnerte sie zunehmend an einen Alptraum, aus dem es, während man träumte, kein Entkommen gab.
    Aufwachen, dachte sie. Ich bin auf dem Sitz eingenickt und muß aufwachen!
    »Sieh es dir an, bitte. Es wird dir gefallen.« Darius' Stimme bohrte sich mühelos durch die dünne Schutzschicht, die ihr Verstand aufzubauen versuchte.
    Neli stand auf. Sie hoffte, diesen erniedrigenden Traum schneller hinter sich zu bringen, wenn sie sich seiner Gesetzmäßigkeit unterwarf. Wankend durchschritt sie den schmalen Gang
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