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Die Reise nach Uruk

Die Reise nach Uruk

Titel: Die Reise nach Uruk
Autoren: Vampira VA
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Lok zu sterben. Er fand das in Ordnung, denn im Grunde war er längst ein unlösbares Teil dieses Wunderwerks früher Ingenieurskunst geworden.
    Die betagte 2-3-0, gebaut in der englischen Vulcan-Gießerei, hatte ihre Jungfernfahrt kurz nach der Jahrhundertwende absolviert -und auch heute noch erfüllte sie ihre Aufgabe, von ein paar kleineren Wehwehchen abgesehen, absolut verläßlich.
    Sheikh Kharig glaubte nicht, daß seine unguten Gefühle mit dem Zug selbst zusammenhingen. Es gab tausend andere Möglichkeiten, die zu einer Katastrophe führen konnten. Ja, Katastrophe. Er glaubte an die Kraft der Vorahnung. Und deshalb inspizierte er den Strecke auch öfter als sonst aus seinem Führerhaus heraus. Er wollte etwaige Auffälligkeiten im Schienenverlauf frühzeitig erkennen, obwohl dies im trüben Frontscheinwerferlicht wenig wahrscheinlich war. Da er auch immer wieder nachfeuern mußte und die Strecke nicht unablässig im Auge behalten konnte, schrumpfte seine Chance, im Ernstfall tatsächlich noch rechtzeitig reagieren zu können, auf ein Minimum.
    Kharig seufzte. Sein Blick suchte längst wieder in Fahrtrichtung. Die seit Stunden nicht nachlassende Spannung verursachte ihm Bauchschmerzen. Er hatte ohnehin nur noch einen halben Magen, und - Der Lokführer sah die offenstehende Feuerungsluke auf sich zuspringen und konnte seinen Sturz im letzten Moment mit Armen und Beinen korrigieren, so daß er nur seitlich gegen eine Armaturenfläche des Führerhauses prallte. Er rutschte daran zu Boden und begriff in den ersten Sekunden überhaupt nicht, was vorgefallen war. Die Stille machte ihm Angst, denn sie war eigentlich unmöglich, es sei denn .
    Hatte der Stoß gegen die Wand seine Trommelfelle zerrissen?
    Kharig tastete hilflos um sich. Alles um ihn herum war dunkel. Jede Lampe, jedes sonst beleuchtete Instrument war erloschen, und nur langsam bahnte sich das leise Knistern des Kohlefeuers einen Weg an sein Gehör. Im Glanz der Sterne begann Kharig zu begreifen, daß der Zug von einem Moment zum anderen zum völligen Stillstand gekommen war.
    Hatte jemand die Notbremse gezogen?
    Er schüttelte sich wie ein begossener Pudel. Mühsam zog er sich an einem Hebel auf die Beine. Aber noch ehe er richtig stand, wußte er bereits, daß keine der Möglichkeiten, die er bislang in Betracht gezogen hatte, die wahren Gründe auch nur streifte. Etwas völlig Unvorhersehbares und Unerklärliches war geschehen. Wo waren die typischen Geräusche eines unter Hochdruck stehenden Kessels geblieben? Und hörte er das Prasseln des Feuers wirklich oder nur in seiner Einbildung?
    Kharig schwankte zum Telefon, das ihn mit dem Fahrgastbereich verband. Er drehte eine Kurbel, die an seinem wie auch am anderen Ende der Strippe ein lautes Klingelgeräusch erzeugte. Aber noch während er kurbelte, merkte er, daß die Leitung tot war.
    Totalausfall der Systeme?
    Er trat an den Rand des Führerhauses und lehnte sich weit nach draußen, eine Hand um das Geländer geschlossen.
    Der Zug lag über seine ganze Länge finster und regungslos wie der Kadaver eines bizarren Tieres auf den Gleisen.
    Aber weniger das Fehlen des Lichts brachte unbekannte Saiten der Furcht in Sheikh Kharig zum Klingen, als vielmehr der Mangel an jeglichem Geräusch, an Stimmen und ähnlichem .
    Was war mit den Passagieren, mit dem Zugpersonal? Warum wurden weder Fenster noch Türen aufgerissen, wo blieb das Geschrei, das eine brutale Vollbremsung wie diese hätte begleiten müssen?
    Im nachhinein erschien es Kharig wie ein kleines Wunder, daß er sich keine ernsthaften Blessuren zugezogen hatte. Dieses Glück konnte nicht jeder teilen. Der Zug war vollbesetzt gewesen .
    Er spürte, wie sich in ihm die Gewißheit formte, daß dies das Ereignis war, das er schon bei Antritt der Fahrt vorausgeahnt hatte, ohne es in Worte fassen oder verhindern zu können. Der Lokführer murmelte ein kurzes Gebet.
    An einem Haken hing eine Taschenlampe. Als er sie abnahm und anknipste, blieb sie dunkel. Wahrscheinlich hatte sie bei der Vollbremsung einen Knacks abbekommen. Kharig hielt sich nicht mit Ursachenforschung auf. Er stieg kurzentschlossen die Leiter des Führerhauses hinunter und überwand die verbleibende Distanz zum Boden mit einem vorsichtigen Sprung. Steine knirschten leise unter seinem festen Schuhwerk. Er versuchte sich Entschlossenheit vorzugaukeln, während er auf den ersten Waggon hinter dem Kohletender zustapfte. Aber er konnte sich, nichts vormachen. Die Angst zog ihm mehr Kraft
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