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Die Reise nach Uruk

Die Reise nach Uruk

Titel: Die Reise nach Uruk
Autoren: Vampira VA
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so durchsichtig, daß man die Knochen ihrer Skelette als dunkle Schatten darunter erkannte. Neli glaubte sogar, Firans Herz schlagen zu sehen - bis zu dem Moment, da der Unheimliche den Kelch an die Lippen des Jungen hielt und ihm den Inhalt einflößte. Blut. Dieser Wahnsinnige gab Firan von seinem Blut zu trinken, und der ließ es auch tatsächlich wie ein Verdurstender die Kehle hinunter rinnen. Neli konnte den Adamsapfel hüpfen sehen.
    Kurz darauf hörte der Muskel in Firans Brust auf zu schlagen . für eine lange Weile, in der auch Nelis Herz stehenzubleiben drohte!
    Doch übergangslos setzte der Puls ihres hingesunkenen Sohnes wieder ein, und Firan erhob sich mit einer katzenhaft geschmeidigen, anstrengungsfreien Bewegung, die seiner Mutter strikter und klarer als jedes Wort bewußt machte, daß Firan sich in den Sekunden des Stillstands . verändert hatte.
    Er schien nur Augen für den Fremden zu haben, der, ohne eine Miene zu verziehen, zu ihm sagte: »Wie fühlst du dich?«
    »Neugeboren.«
    Firans Stimme klang erwachsener als noch Minuten zuvor und dadurch ungewohnt fremd. Abgeklärt. Dabei hatte Neli den Eindruck, daß die Verfassung ihres Sohnes den Fremden selbst in Erstaunen versetzte. Gerade so, als hätte er gar nicht damit gerechnet, ihn nach dem Trank wieder so unbeschadet vor sich stehen zu sehen.
    Ehe sie sich weiter Gedanken über diese Beobachtung machen konnte, lenkte der Unbekannte mit einem knappen Wink Firans Aufmerksamkeit auf seine Mutter.
    »Dann«, hörte Neli ihn sagen, »darfst du sie jetzt töten.«
    *
    Der Mächtige war ganz gespannte Erwartung. Er hielt den Lilienkelch immer noch in beiden Händen, als der Täufling sich der Frau zuwandte, die ihn vor Jahren unter Schmerzen geboren harte.
    Die zweite Geburt, die nun hinter ihm lag, hatte ihn vergessen lassen, was er dieser Sterblichen schuldete. Äußerlich immer noch ein Menschenkind, hatte die Kelchzeremonie nun einen erbarmungslosen Vampir aus ihm geformt - ein Mitglied der unbesiegbaren Armee, die auserkoren war, die Hohe Zeit zu begründen!
    Anum hatte den Dunklen Dom im Berg Ararat verlassen, um zu jenem Ort heimzukehren, an dem er in vorsintflutlicher Zeit mit seinen Brüdern und Schwestern über ein Reich geherrscht hatte. Von Uruks weißem Tempel aus .
    Seither hatte sich vieles, vielleicht alles verändert. Die meisten seiner Geschwister waren tot, vom Gestein des einstürzenden HüterDoms zermalmt worden, und diejenigen, die außer ihm noch überlebt hatten, waren zu Feinden geworden, zu abtrünnigen Verrätern oder feigen Versagern .
    Anums wimpernlose Augen blinzelten. Er schaltete die Erinnerungen, die immer wieder über ihn hereinstürzten wie dereinst die Wasser des Himmels über die Erde, abrupt aus.
    Der Täufling war einen Schritt vor seiner leiblichen Mutter stehengeblieben und bewegte sich nicht mehr weiter.
    »Was ist?« herrschte Anum ihn an. »Überlegst du, wie du sie töten sollst?«
    Der neuerschaffene Vampir schwieg. Es hatte den Anschein, als würde er leicht wanken.
    Unsicherheit? Anum stellte den Lilienkelch auf den Sitz, auf dem die Frau, die er zur Witwe gemacht hatte, stundenlang ahnungslos gesessen und mit ihm geredet hatte, als wäre er ihr Mann. Sie hatte die Wahrheit erst vorhin erkannt, als Anum den Vorhang der Trugkulisse ein wenig angehoben hatte, um sie hinter die vermeintliche Realität blicken zu lassen.
    »Antworte!«
    Der neugeborene Vampir strauchelte. »Ich .«
    Neli Salah stieß einen schrillen Schrei aus. Die Augen, die auf ihren Sohn gerichtet waren, quollen aus den Höhlen.
    Erst da bemerkte auch Anum, daß der immer noch nicht abgeschlossene Prozeß, den die Taufe in dem Jungen angeregt hatte, eine Richtung einschlug, die ... nicht gewollt war!
    »Komm her!« bellte es herrisch aus dem Mund des Urvampirs, der aus seinem Jahrtausendschlaf erwacht war und eine Welt am Abgrund vorgefunden hatte; eine Welt, in der die Kinder des Kelchs beinahe ausgerottet waren. Jene vampirische Armee, die Anum und andere Hüter während ihrer fest begrenzten Amtszeit mit dem Lilienkelch aufgebaut hatten, um die Menschen aus dem Verborgenen heraus zu lenken und unter Kontrolle zu halten.
    Widrige Umstände hatten dafür gesorgt, daß Anum der einzige Hüter war, der nach getanem Werk bei der Rückkehr in den Dunklen Dom den Lohn seiner Arbeit empfangen hatte. Von der Magie, die im Ararat präsent war, hatte Anum all seine Fähigkeiten zurückerhalten, die ihn dereinst als »Gott« im Lande Sumer
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