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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition)
Autoren: Andrea Hirata
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verkauften es wie Wurzelgemüse auf dem freien Zinnmarkt, den sie selbst aufgebaut hatten. Früher, zu Zeiten der staatlichen Bergbaugesellschaft, wäre das als subversive Tätigkeit geahndet worden.
    Die Einheimischen gruben mit bloßen Händen nach Zinn. Sie bauten auch neue Schulen, und so konnten nun mehr Kinder wie Lintang zur Schule gehen. Es waren nicht mächtige Unternehmen oder die Regierung, denen es gelang, die Schulausbildung wieder als Grundrecht eines jeden Bürgers von Belitung zu etablieren. Diese Leistung vollbrachte das arme Volk selbst.

 
     
     
    48  Unsere Schule hielt sich noch eine Weile und bestätigte damit einmal mehr die alte Redensart, »was dich nicht umbringt, macht dich stark.«
    Wir hatten die Drohungen des grimmigen Mister Samadikun überstanden, wir waren den Schaufelradbaggern entkommen und mit unserer dauernden finanziellen Bedrängnis fertiggeworden. Doch das Entscheidende war, dass wir die Gefahr überwanden, die in uns selbst lag, die Zweifel am Sinn der Ausbildung und mangelndes Selbstvertrauen.
    Unsere beiden außergewöhnlichen Freunde jedoch, Mahar und Lintang, lehrten uns zu kämpfen und schenkten uns den Mut, eigene Träume zu entwickeln. Unsere Lehrer, Pak Harfan und Bu Mus, sorgten mit ihrer Erziehung dafür, dass wir im Kampf gegen alle Widrigkeiten siegen konnten.
    Doch am Ende konnte unsere Schule nicht bestehen. Wir mussten vor dem schlimmsten und grausamsten Feind der Erziehung in die Knie gehen, einem Feind, der keine Gnade kennt und kaum zu bezwingen ist, weil er unsichtbar bleibt. Dieser Gegner hatte langsam und allmählich Schüler, Lehrer und das ganze Schulsystem unterwandert: der Materialismus.
    Das heutige Erziehungssystem sieht Schule nicht mehr, wie sie Pak Harfan sah, der davon überzeugt war, dass Wissen einen Wert an sich darstellt, dass unsere Erziehung eine Pflicht ist, die wir dem Schöpfer gegenüber schuldig sind. Und dass Schule nicht immer mit dem Ziel verbunden sein darf, Titel zu erwerben, Geld zu verdienen und reich zu werden. Vielmehr soll Schule Freude am Lernen schaffen, das Licht der Zivilisation verbreiten, zu Würde und Selbstachtung führen, die Werte der Humanität vermitteln. Aber Schule ist heutzutage nicht mehr der Ort, den Charakter zu bilden, sondern ein Element des kapitalistischen Systems, das darauf ausgerichtet ist, Reichtum und Macht zu erwerben.
    Aus diesem Grund schickten Eltern ihre Kinder nicht mehr auf Dorfschulen wie die Muhammadiyah. Unser Schulgebäude war mehr denn je vom Einsturz bedroht. Der heilige Pfeiler, den Pak Harfan noch selbst herangeschleppt hatte, als die Schule erbaut wurde, und in den wir mit dem Taschenmesser unsere Höhenmarken geritzt hatten, hatte sich weiter zur Seite geneigt, er war nicht mehr zu retten.
    An einem Nachmittag, als es geregnet hatte und ein Regenbogen mit allen sieben Farben seinen Halbkreis vom Oberlauf des Mirang zum Mangrovenwald an der Brücke des Linggang spannte, stürzte der heilige Pfeiler um und riss das Schulgebäude mit sich. Unbemerkt war eine legendäre Schule zusammengebrochen, die nahezu einhundertzwanzig Jahre bestanden hatte. Die Bühne, auf der wir, die Regenbogentruppe, unsere kleinen Dramen aufgeführt hatten, gab es nicht mehr. Bu Mus gab vorübergehend ihre Lehrtätigkeit auf und widmete sich ganztägig ihren Näharbeiten. Doch Unterrichten war ihre wahre Berufung. Ich habe nie wieder jemanden getroffen, der seinen Beruf derart liebte wie Bu Mus. Jedenfalls entschloss sie sich bald wieder zu unterrichten und wurde als Lehrerin an einer staatlichen Grundschule angestellt. Sie versicherte mir jedoch, sie habe nie wieder so hervorragende Schüler gehabt wie Lintang und Mahar.
    *
    Ich hielt mir den Bauch vor Lachen, als ich sah, dass sich der Gehilfe im Laden Sinar Perkasa Unmengen von Waren aufgeladen hatte. Er trottete wie ein Gorilla dahin, genau wie damals, als ich ihn bei seinem verrückten Versuch, meine Brustmuskeln mit halben Tennisbällen zu vergrößern, zwischen die Beine getreten hatte. Viele Jahre waren seitdem vergangen, doch ich hatte ihn sofort wiedererkannt. Samson hätte nie zugelassen, dass sein Image als Macho litte. Mit letzter Kraft erreichte er den Lieferwagen und lud die Sachen auf die Ladefläche.
    Samson bekam ein Bündel Scheine von der Frau, der der Lieferwagen gehörte. Er bedankte sich höflich und kehrte zum Laden zurück. Er händigte das Geld dem Ladenbesitzer aus, der damit einmal über seine Waren wedelte, um sein Glück zu
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