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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition)
Autoren: Andrea Hirata
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zusammengekommen, aber in diesem Jahr war Pak Harfan pessimistisch. Insgeheim hatte er bereits eine Ansprache zur Auflösung der Schule vorbereitet.
    »Wir warten bis elf Uhr«, hatte Pak Harfan erklärt.
    Niedergeschlagenheit breitete sich aus, alle schwiegen. Bu Mus hielt nur noch mühsam die Tränen zurück. Heute war ihr erster Unterrichtstag, der Tag, an dem ihr sehnlichster Wunsch, Lehrerin zu werden, in Erfüllung gehen sollte. Vergangene Woche erst hatte sie in der Bezirkshauptstadt Tanjung Pandan die Gewerbeschule für Mädchen abgeschlossen. Sie war gerade mal fünfzehn Jahre alt. Reglos stand sie unter der Schulglocke und starrte in die Ferne, über den Schulhof hinweg zur großen Straße, aber niemand tauchte auf.
    Die anderen Kinder und ich waren tief enttäuscht. Es war niederschmetternd, dass unsere Begeisterung, etwas zu lernen, ins Leere laufen sollte, bloß weil ein einziger Schüler fehlte.
    »Es sind erst neun, Herr Direktor«, rief Bu Mus. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Schon mehrmals hatte sie auf diesen Umstand hingewiesen, der doch bereits allen Anwesenden bekannt war.
    Schließlich war es fünf nach elf und damit die festgelegte Zeit mehr als um. Vorsichtig nahm ich die Hand meines Vaters von der Schulter. Sahara weinte laut in den Armen ihrer Mutter. Sie trug neue Schuhe und Socken, ein neues Kleid, einen Dschilbab, und hatte sogar Schulbücher, einen Ranzen und eine Wasserflasche dabei.
    Pak Harfan trat zu den Eltern und wechselte mit jedem von ihnen ein paar Worte. Manche klopften ihm auf die Schulter, um ihn zu trösten. Bu Mus standen die Tränen in den Augen. Pak Harfan setzte zu einer Rede an: »Salam alaikum!« Doch in dem Moment, als er die ersten Worte aussprach, drehten sich alle überrascht um, weil Trapani auf die andere Seite der großen Wiese vor der Schule zeigte und schrie: »Harun!«
    Und tatsächlich kam von ganz da hinten ein hoch aufgeschossener, dünner Junge angehinkt. Er war sehr ordentlich gekleidet und frisch gekämmt. Er trug ein weißes Hemd mit langen Ärmeln, das er in die Hose gesteckt hatte. Er hatte X-Beine und schwankte beim Gehen hin und her. Es war Harun, ein lustiger Bursche, den wir alle gut kannten. Er war schon fünfzehn und etwas zurückgeblieben. Er kam freudestrahlend näher, rannte eher, als dass er lief. Dabei achtete er nicht auf seine Mutter, die kaum hinterherkam. Völlig außer Atem erreichten die beiden die Schule und standen nun vor Pak Harfan.
    »Herr Lehrer …«, rief die Mutter außer Atem. »Nehmen Sie Harun, Herr Lehrer, die nächste Sonderschule ist doch auf Bangka, und dort können wir ihn nicht hinschicken. Dazu reicht unser Geld nicht. Und vor allem ist es viel besser, er geht hier zur Schule, als dass er zu Hause bleibt. Da jagt er mir nur die Hühner.«
    Harun zeigte ein breites Lächeln, bei dem seine langen, gelben Zähne zu sehen waren.
    Pak Harfan lächelte ebenfalls und blickte zu Bu Mus hinüber.
    »Genau zehn Schüler«, stellte er fest.
    Harun begrüßte uns und wir brachen in lautes Geschrei aus. Sahara stand auf, strich ihren Dschilbab glatt und setzte entschlossen ihren Ranzen auf. Bu Mus war verlegen. Ihr rollten nun Freudentränen über die Wangen.

 
     
     
    2  Bu Mus kam zu den Eltern, die noch auf der langen Bank saßen, sprach ein paar freundliche Worte mit ihnen und schickte uns nach und nach in den Klassenraum. Jedem wurde ein Sitznachbar zugeteilt. Schließlich blieben nur noch ich und der kleine schmutzige Junge mit dem roten Kraushaar, den ich noch nicht kannte, übrig. Der Junge roch unangenehm nach verbranntem Gummi.
    »Dein Junge soll neben Lintang sitzen«, sagte sie zu meinem Vater.
    Als Lintang das hörte, versuchte er, sich von seinem Vater loszumachen. Der wollte ihn zurückhalten, aber Lintang entwand sich dem Griff seines Vaters, sprang auf, rannte in die Klasse und suchte sich selbst einen freien Platz.
    Bu Mus trat an Lintangs Vater heran. Der Mann sah aus wie eine vom Wind zerzauste Kasuarine, die, vom Blitz getroffen, schwarz und dürr geworden war. Er war Fischer, aber sein Gesicht ähnelte eher dem eines Urwaldbewohners, besaß jedoch einen sanften Ausdruck.
    Lintangs Familie stammte aus Tanjung Kelumpang, einem Fischerdorf, weit abgelegen an der Küste. Wer dorthin wollte, musste durch vier Mangrovenwälder, Sumpfgebiete, die bei uns als unheilvoll angesehen wurden. Dort konnten einem Krokodile über den Weg laufen, so groß und dick wie Palmenstämme. Das Küstendorf lag
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