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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition)
Autoren: Andrea Hirata
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die dunklen Wolken, die unsere armselige Schule umgaben. Der Junge mit den wirren Locken entwickelte sich zu dem genialsten Menschen, den ich in meinem ganzen Leben getroffen habe.

 
     
     
    3  Unsere Schule war eine von Hunderten, wenn nicht Tausenden armer Schulen im Land, eine von der Sorte, die jederzeit in sich zusammenfallen konnte. Dazu hätte es nur eines Ziegenbocks bedurft, der hinter einer Ziege her war.
    Wir hatten nur zwei Lehrer für alle Fächer und alle Klassenstufen. Wir hatten keine Schuluniformen. Und wir hatten auch keine Toilette. Da unsere Schule am Waldrand lag, brauchten wir uns nur in die Büsche zu schlagen. Unsere Lehrer kamen immer mit, es hätte ja sein können, dass wir von einer Schlange gebissen worden wären. Denn es gab natürlich keine Notapotheke. Wenn einer krank wurde, egal was er hatte, Durchfall, eine Geschwulst, Husten, Grippe oder Ausschlag –, gab uns Bu Mus eine weiße runde Pille, etwa so groß wie der Knopf an einer Regenjacke und furchtbar bitter. Wenn wir sie genommen hatten, verging uns sofort der Hunger. Auf der Pille standen die Buchstaben APC. Das waren die legendären APC-Pillen der armen Leute von Belitung, die im Volksglauben jedes Übel heilen konnten. Diese Wunderwaffe war die einzige Antwort der Regierung auf das Problem eines nicht existierenden sozialen Gesundheitssytems.
    Die Schüler der Muhammadiyah hatten nie einen Beamten zu Besuch kommen sehen, keinen Schulrat, erst recht keinen Abgeordneten. Wer regelmäßig kam, war lediglich ein maskierter Mann in einem Overall, der aussah wie ein Ninja. Auf dem Rücken trug er ein Rohr aus Aluminium mit einem Schlauch, den er überall herumschwenkte. Der Mann kam vom Gesundheitsamt und besprühte die Mückennester mit DDT. Wenn der dicke weiße Qualm wie von einem Brand aufstieg, schrien wir vor Freude auf.
    Unsere Schule wurde nicht bewacht, es gab ja nichts, was man hätte stehlen können. Die einzigen Zeichen, an denen man das Schulgebäude als solches erkennen konnte, waren ein Flaggenmast aus gelbem Bambus und ein schief hängendes grünes Schild neben der Glocke. Diese bestand aus einem runden Eisenzylinder mit vielen Löchern, einem ehemaligen Ofen. Auf dem Schild war eine Sonne mit weißen Strahlen abgebildet. In der Mitte war zu lesen:
     
    SD MD
    Grund- und Mittelschule Muhammadiyah
    Außerdem befand sich direkt unter der Sonne eine Inschrift in einfachen arabischen Buchstaben, die sich mir erst später in der zweiten Klasse erschloss, als ich lesen konnte. Sie lautete: Amar makruf nahi mungkar «, was so viel bedeutete wie »Lass uns Gutes tun und meide die Sünde«. Das war der oberste Wahlspruch der Anhänger von Muhammadiyah, der zweitgrößten islamischen Gruppierung in Indonesien mit mehr als dreißig Millionen Mitgliedern. Diese Worte behielten wir in unserem Herzen, bis wir erwachsen waren.
    Von Weitem gesehen konnte man meinen, unsere Schule würde bald zusammenbrechen, denn die alten schiefen Holzpfosten konnten das schwere Schindeldach kaum noch tragen. Unser Schulgebäude sah aus wie eine Koprascheune auf einer Kokosplantage. Das Gebäude verstieß gegen alle Grundsätze der Baukunst, keine Tür und kein Fenster konnten ordentlich geschlossen werden, weil Tür- und Fensterrahmen nicht rechtwinklig waren. Aber wozu hätte man die Türen auch abschließen sollen?
    Unseren Klassenraum beschrieb man am besten mit diesen Worten: mangelhaft ausgestattet. Kurios und erbärmlich mangelhaft war zum Beispiel der wacklige Glasschrank mit einer Tür, die sich nicht schließen ließ. Man musste an drei Beinen Pappe unterlegen, damit sie überhaupt zuging. In einer normalen Klasse waren in einer solchen Vitrine Fotos erfolgreicher ehemaliger Schüler zu sehen, die Fotos des Erziehungsministers und des Schuldirektors. Da gab es Poster, Medaillen, Urkunden und Pokale, die von den besonderen Leistungen der Schule zeugten. In unserer Klasse allerdings stand der Schrank traurig und leer in einer Ecke herum. Einfach weil es keinen Vertreter der Schulbehörde gab, der unsere Lehrer treffen wollte, keinen Schulabgänger, auf den man stolz sein konnte, keinen Preis, den unsere Schule je gewonnen hatte.
    In unserem Klassenzimmer gab es keine Tabellen mit dem Einmaleins und auch keinen Kalender. Wir hatten keine Porträts des Präsidenten und seines Stellvertreters und auch keine Abbildung des indonesischen Wahrzeichens, des Garuda, ein seltsamer Vogel mit acht Schwanzfedern, der ständig nach rechts guckt. Das
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