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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition)
Autoren: Andrea Hirata
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aufgerufen wurde, freute er sich sichtlich. »Sag bitte deinen Namen und wo du wohnst«, bat Bu Mus ihn mit sanfter Stimme.
    A Kiong sah Bu Mus zögernd an und lächelte dann. Sein Vater drängte sich an den anderen Eltern vorbei, um den Auftritt seines Sohnes aus der Nähe zu verfolgen. Aber sooft A Kiong auch nach seinem Namen gefragt wurde, er brachte kein einziges Wort hervor. Er lächelte nur und schwieg.
    »Na komm, bitte«, redete ihm Bu Mus gut zu.
    Aber A Kiong antwortete nur mit einem Lächeln. Mehrmals blickte er zu seinem Vater herüber, der langsam die Geduld verlor. Ich konnte ihm die Gedanken von der Stirn ablesen: »Los, mein Sohn, nimm dich zusammen, sag deinen Namen! Sag wenigstens meinen Namen, nur ein einziges Mal. Mach doch den Chinesen keine Schande!« A Kiongs Vater, ein freundlicher Mann, war allen als chinesischer Gartenarbeiter bekannt, stammte also aus einer der ärmsten Schichten der Chinesen auf Belitung.
    Bu Mus versuchte es noch einmal: »Also gut, mein Junge, jetzt ist die letzte Gelegenheit für dich, deinen Namen zu sagen, sonst musst du wieder auf deinen Platz zurück.«
    A Kiong zeigte keinerlei Anzeichen von Niedergeschlagenheit oder Scham, im Gegenteil, sein Lächeln wurde immer breiter, seine Pausbacken röteten sich.
    Das war also der Lehrsatz des Tages: Frage einen, der in einer Gartenhütte lebt, nicht nach seinem Namen und seiner Adresse.
    Damit ging diese erste eindrucksvolle Stunde im Februar zu Ende.

 
     
     
    5  Die kleine Insel Belitung, auf der meine Freunde und ich lebten, ist die reichste Insel Indonesiens, vielleicht sogar der ganzen Welt. Sie ist zwar ein Teil von Sumatra, behauptet aber wegen ihres Reichtums eine unabhängige Sonderstellung. Von Malakka aus kam die alte malaiische Kultur auf die abgelegene Insel mit ihrem Geheimnis, das die Holländer entdeckten. Unter den Sümpfen lagen Schätze von Zinn, von gesegnetem Zinn. Eine Handvoll war mehr wert als ein Sack Reis.
    Die Malaien brauchten ihre Hand nur irgendwo in die Erde zu stecken, in die dünne Schicht Schwemmland, um sie funkelnd von Zinn wieder hervorzuziehen. Vom Meer aus gesehen strahlt Belitung im Glanz des Zinnstaubs wie ein Leuchtturm, der den Schiffen den Weg weist.
    Nachts erschien Belitung aus der Vogelperspektive wie eine riesige Familie von Schirmquallen, die mit ihrem blauen Licht das Meer zum Leuchten bringen: winzig, wunderbar und unermesslich zahlreich. Gesegnet ist das Land, das Zinn besitzt, denn wo man Zinn findet, gibt es auch eine Reihe anderer wertvoller Stoffe: Kaolin, Xenotim, Zirkonium, Gold, Silber, Topas, Bleiglanz, Kupfer, Quarz, Silikon, Granit, Monazit, Ilmenit, Siderit, Hämatit. Wir besaßen sogar Uranium, den Rohstoff für die Atomenergie. Reichtümer im Überfluss, verborgen unter unseren Stelzenhäusern, in denen wir unser ärmliches Leben führten. Wir, die alteingesessenen Bewohner von Belitung, glichen einer Schar Mäuse, die mitten in einem zum Bersten gefüllten Reisspeicher Hunger leidet.
    Die riesigen Bodenschätze wurden von der Firma PT Timah, einer staatlichen Bergbaugesellschaft, gefördert und verwertet. Die Gesellschaft hatte sechzehn Schaufelradbagger beziehungsweise schwimmende Bagger im Einsatz. Sie beschäftigte praktisch sämtliche auf der Insel vorhandenen Arbeitskräfte. Die riesigen Stahlkübel der Bagger gruben unablässig den Boden der Insel auf. So lang wie ein Fußballfeld, glichen die Baggerschiffe gefräßigen amphibischen Riesen. Sie waren unermüdlich tätig, nichts konnte sie aufhalten. Sie zertrümmerten Korallenriffe, rissen uralte Bäume mit Stämmen, die fünf Männer kaum umspannen konnten, um, brachten Betonbauten mit einem Stoß zum Einsturz und machten Dörfer dem Erdboden gleich. Sie konnten Berghänge befahren, Sandflächen und Schluchten überqueren, Flüsse, Seen, Sümpfe, ja selbst das Meer stellte für sie kein Hindernis dar. Sie brüllten wie Dinosaurier. Und wir waren beeindruckt.
    Wir schlossen manchmal verrückte Wetten ab, zum Beispiel wie viele Minuten ein Bagger brauchen würde, um einen Hügel in ein Feld zu verwandeln. Wer verlor, musste dann von der Schule rückwärts heimgehen, ohne sich dabei auch nur ein einziges Mal umzudrehen. Wir liefen natürlich mit und schlugen Tamburine, während der Verlierer wie ein Pinguin rückwärtswatschelte.
    Die indonesische Regierung hatte die Bergbaugesellschaft von den holländischen Kolonialherren geerbt. Sie hatte jedoch nicht bloß das Unternehmen übernommen, sondern
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