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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition)
Autoren: Andrea Hirata
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auch die feudalistische Gesinnung. Selbst nachdem Indonesien unabhängig geworden war, hielt die Diskriminierung der Angestellten, der Arbeiter und der einheimischen Bevölkerung durch das Staatsunternehmen an. Die Einteilung in ein Kastensystem kam der Regierung dabei mehr als gelegen.
    Die leitenden Angestellten bildeten die Oberschicht. Sie nannten sich staf , also »Stab«. Zu der untersten Kaste zählten unsere Eltern, die als Lastenträger arbeiteten, als Hilfsarbeiter in der Zinnwaschanlage oder als Tagelöhner. Belitung war auf diesem Weg zu einem Firmendorf geworden. Die Kaste, der ein Mitarbeiter zugeteilt wurde, bestimmte automatisch seine gesellschaftliche Stellung. Was selbst wir Kinder oft zu spüren bekamen.
    *
    Die leitenden Angestellten des Staatsunternehmens, also der »Stab«, unter denen praktisch keine einheimischen Malaien, sondern hauptsächlich Javaner zu finden waren, wohnten in einem Elitebezirk, der sich Gedong nannte, was so viel heißt wie Palast. Das Gebiet wurde von Sicherheitsdiensten streng bewacht und war von einer hohen Mauer umgeben, an der an mehreren Stellen dreisprachige Warntafeln angebracht waren. Auf Indonesisch, jedoch in einer altertümlichen Schreibweise, wie sie zu Kolonialzeiten üblich gewesen war, auf Chinesisch und auf Englisch war dort zu lesen: Eintritt für Unbefugte verboten!
    Wir waren arme Dorfkinder, und in unseren Augen schien das Gedong immer sagen zu wollen: Haltet Abstand! Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch Reihen von Sagopalmen, die blutrote Samenkapseln auf die Autodächer fallen ließen, wenn die teuren Limousinen aus der Garage fuhren.
    Die großen Luxusvillen im viktorianischen Stil dort hatten riesige Fenster mit Vorhängen in der Größe von Kinoleinwänden. Drinnen im Kühlen, so wurde uns Kindern erzählt, lebten sicher und sorglos kleine Familien mit zwei oder höchstens drei Kindern, die stets still und artig waren. Die viktorianischen Villen standen erhöht, sodass sie wie Festungen von Adligen wirkten.
    Jede Villa bestand aus vier separat stehenden Gebäuden, in der Villa selbst wohnte der Arbeitgeber oder Manager, daneben die Dienerschaft. Zusätzlich gab es noch eine große Garage und einen Schuppen. Die einzelnen Bauten waren um einen kleinen Teich angeordnet und durch lange Galerien untereinander verbunden. Am Ufer wuchsen herrliche blau blühende Seerosen und in der Mitte des Teiches stand nach belgischem Vorbild ein Manneken Pis, das zur allgemeinen Belustigung beständig ins Wasser pinkelte.
    Vom Rand der Dächer hingen Keramikgefäße mit Silberball-Kakteen herunter, zu deren Pflege eigens Gärtner angestellt waren. Oberhalb der Teiche befand sich oft ein hölzerner Käfig auf zierlichen Säulenfüßen, in dem sehr gefräßige, aber zahme englische Tauben gehalten wurden.
    Im Salon stand gewöhnlich ein viktorianisches Rosenholzsofa. Wer darauf saß, musste sich wie ein König fühlen. Vom Salon ging ein vielfach gewundener Korridor ab, an dessen Wänden teure Gemälde hingen. Wer vom Salon aus ins Esszimmer gelangen wollte, musste aufpassen, dass er sich wegen der vielen Türen nicht unterwegs verlief.
    Zum Abendessen waren die Bewohner der Villa elegant gekleidet und trugen natürlich Schuhe. Nachdem sie sich die Serviette über den Schoß gelegt hatten, nahmen sie still ihr Mahl ein und lauschten dabei klassischer Musik. Niemals hätten sie beim Essen die Ellenbogen aufgestützt.
    *
    Die Schule der Bergbaugesellschaft befand sich innerhalb des Gedong, ein Ort für die Auserwählten und Privilegierten. Hunderte von hervorragenden Schülern aus gutem Hause wetteiferten dort auf einem beispiellos hohen Niveau miteinander, eine von ihnen war Flo. Flos Vater organisierte und kontrollierte täglich den Einsatz von Tausenden von Schichtarbeitern, er war in der Lage, die kompliziertesten technischen Probleme zu lösen, und hatte die Verfügungsgewalt über Millionen von Dollar, aber gegenüber seiner jüngsten Tochter war er in letzter Zeit machtlos. Sie streikte während des Klavierunterrichts und auch in der Schule. Und je strenger der Vater sie anfuhr, desto mehr ignorierte sie ihn.
    Zwischen dieser Eliteschule und unserer Dorfschule lag ein Unterschied wie Tag und Nacht. Überall an den Wänden hingen Schautafeln, etwa zu den Grundrechenarten, eine Übersicht über die chemischen Elemente, eine Weltkarte, eine Wanduhr und ein Thermometer, Porträts des Präsidenten und seines Stellvertreters, das Staatssymbol, ein stolzer
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