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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition)
Autoren: Andrea Hirata
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aus, sondern bereitete Mädchen darauf vor, gute Ehefrauen zu werden. Die Schülerinnen lernten kochen, sticken und nähen. Bu Mus hatte darauf bestanden, diese Schule in der Bezirkshauptstadt Tanjung Pandan zu besuchen, um ein Zeugnis zu erhalten, das eine Stufe höher war als das Abschlusszeugnis der Grundschule, in der sie unterrichten wollte.
    Als Absolventin der Gewerbeschule bot ihr die Bergbaugesellschaft an, sie als Sekretärin einzustellen. Sie sollte eine Aufgabe beim Leiter des Reisspeichers übernehmen. Sie hatte auch vom Sohn eines Unternehmers einen Heiratsantrag bekommen. Ihre Freundinnen Midah, Aini, Izmi und Nurul konnten überhaupt nicht begreifen, warum Bu Mus diese beiden verlockenden Angebote ausschlug. Die vier hätten sich jedenfalls die Gelegenheit nicht entgehen lassen, eine Stelle in der Verwaltung der Bergbaugesellschaft anzunehmen.
    »Ich will Lehrerin werden«, sagte das Mädchen von fünfzehn Jahren entschlossen.
    Diesen Satz sprach sie nicht etwa mit erhobener Stimme, nicht mit Trotz oder Selbstgefälligkeit. Wer in diesem Augenblick dabei war, begriff, dass Bu Mus jeden Buchstaben des Satzes aus den Tiefen ihres Herzens hervorbrachte, dass das Wort »Lehrerin« ihr leuchtend vor Augen stand, so sehr bewunderte sie diesen noblen Beruf. In ihr schlief ein Riese, ein Riese, der erwachen würde, wenn sie vor ihrer Klasse stand.
    Bu Mus standen harte Zeiten bevor. Jedenfalls gab es sonst niemanden, der in unserer Schule unterrichten wollte, denn es gab keinen Lohn dafür. In unserer Dorfschule zu unterrichten bedeutete, eine lange Notzeit vor sich zu haben. Das nahm nur jemand auf sich, der – wie es abschätzig bei uns hieß – nicht ganz bei Trost war.
    Für Pak Harfan und Bu Mus aber war das Unterrichten eine Herzensangelegenheit. Sie gaben Unterricht in allen Fächern. Und nach einem aufreibenden Unterrichtstag erledigte Bu Mus bis spät in die Nacht Nähaufträge und häkelte Spitzendeckchen – um damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, was uns zutiefst beeindruckte.
    *
    Unsere Schule hatte ständig finanzielle Probleme. Manchmal war nicht einmal genug Geld da, um Kreide zu kaufen. Dann gingen wir nach draußen, und Bu Mus benutzte die Erde als Tafel. Unter solchen Herausforderungen wuchs Bu Mus über sich hinaus – das junge Mädchen war eine starke und charismatische Lehrerin.
    »Betet zur rechten Zeit, dann werdet ihr auch belohnt«, hielt uns Bu Mus an.
    Waren das nicht die Worte, von denen die Sure An-Nisa erzählt, die uns bereits unzählige Male von unzähligen Predigern verkündet worden war? Aus dem Mund von Bu Mus allerdings klangen die Worte anders, sie entfalteten eine geradezu magische Kraft und hallten in unseren Herzen wider. Und so empfanden wir jedes Mal ehrliche Reue, wenn wir verspätet zum Gebet kamen.
    Wir beklagten uns oft darüber, dass es hineinregnete, weil das Dach des Schulgebäudes überall lecke Stellen hatte. Bu Mus ging nicht auf unsere Klagen ein, sie holte nur ein holländisches Buch hervor und zeigte uns darin ein Bild. Es zeigte einen vergitterten, düsteren, engen Raum, umgeben von einer hohen, dicken Mauer.
    »Das ist Sukarnos Zelle in seinem Bandunger Gefängnis, wo er eingekerkert war und trotzdem beständig in Büchern las und studierte. Er war unser erster Präsident und einer der gescheitesten Männer unseres Volkes.«
    Mehr sagte sie nicht.
    Von diesem Augenblick an beklagten wir uns nicht mehr über den Zustand unserer Schule. Einmal goss es in Strömen, und Blitze schlugen überall ein. Von der Decke tropfte der Regen herunter, aber wir blieben still sitzen, denn wir wollten nicht, dass Bu Mus den Unterricht unterbrach. Bu Mus wollte ebenfalls keine Pause machen. So versuchten wir uns irgendwie vor dem Regen zu schützen. Bu Mus machte es wie die Bauern, sie nahm ein Bananenblatt und hielt es sich über den Kopf. Es regnete dann noch vier Monate lang, und zwar unablässig, trotzdem haben wir keinen Tag die Schule ausfallen lassen, keinen einzigen Tag. Und wir haben uns auch niemals mehr beklagt.
    Pak Harfan und Bu Mus waren uns Freunde, Lehrer und Inspiration. Sie zeigten uns, wie man kleine Spielzeughäuschen aus Bambus baut, halfen uns, die Waschung vor dem Gebet richtig zu vollziehen, guckten nach der Beschneidung in unsere Sarongs, lehrten uns vor dem Schlafengehen zu beten, pumpten unsere Fahrräder wieder auf, saugten uns das Gift aus den Füßen, wenn uns eine Schlange gebissen hatte, und manchmal machten sie uns Orangensaft
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