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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition)
Autoren: Andrea Hirata
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irre ich mich, aber meinem Verständnis nach ist das der wahre Geist der Erziehung und die Seele einer Einrichtung, die man Schule nennt.
    *
    Ich hatte das Glück, meine Ausbildung in einem weit entfernten Land fortsetzen zu können. Und ich habe als Rucksacktourist viele Orte bereist. Wo ich auch hinkam, es hat mich immer gefesselt zu sehen, wie die Menschen in einem bestimmten sozialen System miteinander umgehen und wie sie ihr Leben wahrnehmen. Ich genieße meinen Beruf als Beobachter des Lebens.
    Ich bin mit führenden Vertretern der verschiedenen Religionen zusammengekommen. Ich habe sie nach ihrem Lebensprinzip gefragt. Ich habe Menschen getroffen, die ihr Seelenheil im Glauben suchten und deswegen nach Mekka, nach Indien, nach Bethlehem oder zum Himalaya zogen. Aber ich habe auch Menschen getroffen, die sich selbst suchten und bei denen dieses Abenteuer manchmal dazu führte, dass die Polizei nach ihnen suchte.
    Doch eigentlich war es nicht nötig, weit wegzugehen, es war nicht nötig, die Welt zu bereisen und mit den verschiedensten Menschen zusammenzukommen, denn meine Richtschnur fürs Leben ist eine simple Weisheit, die ich in meinen Schuljahren gemeinsam mit meinen Freunden gewonnen habe.
    Meine Lebensphilosophie ist so schlicht, wie unsere Schule es war. Das Schicksal, unsere eigenen Bemühungen und Gottes Wille sind wie drei blaue Berge, die den Menschen umgeben. Die drei Hügel wirken insgeheim zusammen und bestimmen unsere Zukunft – und es wird uns immer verborgen bleiben, wie sie einander beeinflussen.
    Wem manches im Leben misslingt, sucht meistens die Schuld bei Gott. Wenn er arm ist, beklagt er sich bei Gott, weil Er ihm dieses Schicksal bestimmt hat. Menschen, die sich nicht mehr anstrengen wollen, warten einfach darauf, dass Gottes Wille ihr Schicksal ändert. Menschen, die nicht hart arbeiten wollen, nehmen ihr Schicksal hin und sagen, es wäre nicht zu ändern, weil alles vorbestimmt sei. Das ist der Teufelskreis, in dem sich die Faulen und Trägen bewegen.
    Meine Erfahrungen aus der Schulzeit zeigen jedoch: Wer sich bemüht, kann auch mit verbundenen Augen in einen Obstkorb greifen und wird immer eine Frucht finden. Wer sich jedoch nicht bemüht, gleicht einem, der mit verbundenen Augen versucht, in einem dunklen Zimmer eine Katze zu fangen, die gar nicht da ist.
    Ich wollte immer etwas lernen und war bereit, alles zu geben. Dank dieser Einstellung gelang es mir, in Europa mein Studium abzuschließen. Ich kehrte nach Indonesien zurück und fand bei einem Telekommunikationsunternehmen Arbeit.
    Während dieser Zeit ereignete sich die Tsunami-Katastrophe in Aceh. Ich meldete mich sofort als freiwilliger Helfer und verbrachte drei Wochen im Katastrophengebiet.
    Als ich wieder zurückflog, sah ich auf dem Weg zum Flughafen ein Mädchen mit Kopftuch am Straßenrand stehen und ein Transparent halten. Dahinter lagen die Trümmer eines Schulgebäudes, das vom Tsunami erfasst worden war. Auf dem Transparent stand: »Los, kommt zur Schule! Gebt nicht auf!«
    Ich war sprachlos. Das Mädchen mochte eine Lehrerin sein, die versuchte, die Schüler, die die Katastrophe überlebt hatten, zusammenzurufen. Ich konnte kaum die Tränen zurückhalten. Diese Kraft, dieser Kampfgeist rührten mich, denn ich musste sofort an eine Lehrerin denken, die einmal zu uns gesagt hatte, für einen Lehrer bedeute der Verlust eines einzigen Schülers dasselbe, wie seine halbe Seele zu verlieren.
    Dann erinnerte ich mich an ein altes Versprechen, das ich in der sechsten Klasse der Grundschule gegeben hatte. Damals hatte ich Bu Mus gesehen, wie sie mit einem Bananenblatt zum Schutz gegen den Regen über den Schulhof lief, und hatte gelobt, ein Buch für sie zu schreiben. Dieses Buch sollte ihr zum Dank allem gewidmet sein, was sie für uns getan hat.
    Als ich zwei Tage später in Bandung vom Büro nach Hause gekommen war, machte ich mich ans Schreiben. Ich brachte viele Wochen damit zu, arbeitete bis spät in die Nacht, ich lächelte im Stillen, staunte, musste kichern, ärgerte mich, und oft genug kamen mir die Tränen.
    Ganz zum Schluss schrieb ich auf die erste Seite: Ich widme dieses Buch meinen Lehrern Ibu Muslimah Hafsari und Bapak Harfan Effendi Noor und meinen zehn Freunden aus Kindertagen, den Mitgliedern der Regenbogentruppe.
     
    Setiap warga negara
    Berhak mendapat pendidikan
    (Undang-Undang Dasar Republik Indonesia, Pasal 33)
     
    Jeder Bürger hat das Recht auf Bildung
    (Verfassung der Republik Indonesien, Artikel
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