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Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen

Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen

Titel: Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen
Autoren: Thomas Wieczorek
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ungefährlich zu sein. Diese Sicherheit kann aber trügerisch sein, wie wir weiter unten noch sehen werden.
    Fest steht: Immer mehr Menschen aller Gesellschaftsschichten fühlen und handeln immer weniger als Staatsbürger, sondern leben und kommunizieren »informell«. Über sie berichtet kein Massenmedium – aber sie existieren trotzdem, und es werden immer mehr. Längst ist es eine »Gesellschaft in der Gesellschaft«.

Die Macht der Wahrheit: Widerstand durch Enthüllung
    Wirklichen Mut erfordert hingegen »Enthüllungsjournalismus«. Nicht umsonst kommt die Floskel »Der Kerl weiß zu viel« in fast jedem zweiten Krimi vor. Aber wie immer ist die Realität noch spannender als der beste Film.
    Die gnadenlose Macht der bloßen Information spürte die US -Regierung unter Richard Nixon in den siebziger Jahren. Die teilweise Veröffentlichung der
Pentagon-Papiere
am 13 . Juni 1971 durch Daniel Ellsberg, einem hochrangigen Mitarbeiter der US -Verteidigungsministeriums, in der
New York Times
deckte die gezielte Irreführung der US -amerikanischen Öffentlichkeit bezüglich des Vietnamkriegs durch alle Präsidenten von Harry S. Truman bis Lyndon B. Johnson auf. Die empörte Bevölkerung erfuhr, dass entgegen vieler Beteuerungen beteiligter Präsidenten der Krieg schon lange vorher geplant wurde und die Sicherung der Demokratie in Südvietnam nicht das eigentliche Ziel war. Die Veröffentlichung gelang nur gegen den Widerstand der Regierung aufgrund der Entscheidung des höchsten US -Gerichts und trug wesentlich zur Beendigung des Krieges bei.
    Der später aus dem Amt gejagte Richard Nixon versuchte mit allen Mitteln, eine weitere Veröffentlichung zu verhindern. Zu seinem Berater Henry Kissinger – dem bekennenden Mordauftraggeber für Chiles Präsidenten Salvadore Allende – soll Nixon gesagt haben: »Let’s get the son-of-a-bitch in jail!« (»Bringt diesen Hurensohn [gemeint ist Daniel Ellsberg] hinter Gitter!«). Kommentar des
Spiegel:
»Nicht wider Willen und schicksalhaft, sondern zielstrebig und provokativ, von Kommunismus-Angst besessen, haben drei Präsidenten der USA ihr Land in den Vietnamkrieg geführt – das wies Amerikas Presse vier Wochen lang durch Auszüge aus der Vietnam-Studie des Pentagon nach.« [134]
    Mutiger Enthüllungsjournalismus führte auch zur
Spiegel-
Affäre: Am 10 . Oktober 1962 veröffentlichte das Blatt den Artikel
Bedingt abwehrbereit,
in dem der verantwortliche Redakteur Conrad Ahlers interne Dokumente der Bundeswehr zitierte und zu dem Schluss kam, die NATO und die Bundesrepublik könnten einem sowjetischen Angriff nicht standhalten. [135] Am 26 . Oktober 1962 wurden das
Spiegel
-Verlagsgebäude in Hamburg und die Redaktion in Bonn durchsucht und sieben Haftbefehle wegen des Verdachts des Landesverrats, landesverräterischer Fälschung und aktiver Bestechung ausgestellt. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß ließ Conrad Ahlers in Spanien mit falschen Behauptungen durch die Polizei verhaften und nach Deutschland überführen. Daraufhin solidarisierten sich weite Teile der Öffentlichkeit mit dem Nachrichtenmagazin; Studenten gingen für Augstein auf die Straße. Bundeskanzler Adenauer – sein Kanzleramtsleiter war Hitlers Rassegesetz-Kommentator Hans Globke, und auch sonst wimmelte es in seinem Kabinett von Altnazis – sagte im Bundestag unter heftigem Protest aus den Reihen der SPD und auch der FDP , allerdings unter Beifall der CDU , beim
Spiegel
habe sich ein »Abgrund von Landesverrat« geöffnet. Nach 103 Tagen wurde Rudolf Augstein aus der Haft entlassen, und Strauß musste noch 1962 zurücktreten. 1963 sagte er über das Blatt:
    »Sie sind die Gestapo im Deutschland unserer Tage … Ich war gezwungen, gegen Sie zu handeln.«
    Am 13 . Mai 1965 lehnte der Bundesgerichtshof aus Mangel an Beweisen die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den
Spiegel
ab. Bundeskanzler Adenauer überstand die Affäre trotz seines »Abgrundes an Landesverrat« verhältnismäßig unbeschädigt, insbesondere auch deshalb, weil ihn sein Verteidigungsminister in nicht unerheblichem Umfang falsch informiert hatte und der Bundeskanzler sich darauf berief, er hätte seinem eigenen Minister wohl kaum misstrauen müssen. Die sogenannte
Spiegel-
Affäre führte dazu, dass sich die demokratische Öffentlichkeit, vor allem junge Leute und kritische Intellektuelle, für den
Spiegel
als Bollwerk der Meinungsfreiheit einsetzte, was den inzwischen verblassten Mythos des Blattes
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