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Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen

Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen

Titel: Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen
Autoren: Thomas Wieczorek
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von einer DGB -Gewerkschaft inszeniert oder wenigstens kontrolliert wird, besteht nicht die geringste Gefahr.
    Das amüsanteste Beispiel bieten die Tarifverhandlungen selbst. Ob nun im Straßenbahner-Waldheim unter dem Stuttgarter Fernsehturm oder im Kongresszentrum Potsdam mit Blick auf den Templiner See: In irgendeinem Tagungsraum wird streng geheim, also ohne Zeugen, »hart und zäh« verhandelt. Vor der Tür hocken Journalisten: die von den Agenturen und vom Fernsehen, um Geheimverhandler auf dem Weg zum WC abzufangen und auszuquetschen, die anderen, um Skat oder Poker zu spielen. Denn die Ergebnisse der erbitterten Verhandlungen stehen schon seit Tagen bis ins Detail genau fest. Deshalb liegen auch die Medienleute mit ihren Tipps fast immer richtig. Die Faustregel ist einfach: Forderung vier Prozent, Angebot zwei Prozent, Abschluss drei Prozent. Was die geheimen Streithähne ohnehin am meisten umtreibt, ist die Frage, wie möglichst jede Seite ihren Leuten das Ergebnis als Erfolg verkaufen kann. Und weil dieser Erfolg umso größer erscheint, je härter er »erkämpft« wurde, vertagt man sich einige Male ohne Ergebnis, und die Gewerkschaften faseln pressewirksam etwas von einer Streik-Urabstimmung und die Arbeitergeber von gefährdeten Arbeitsplätzen. Alles ist so sorgfältig inszeniert, dass – ähnlich wie einige Mitbürger den ZDF -Bergdoktor für einen echten Arzt halten – sehr viele diese Verhandlungs-Show als einen Ausdruck von Tarifautonomie betrachten.

Vorvorletzte Warnung: Wahlboykott und Umfragen
    Eine im Rahmen der parlamentarischen Demokratie wichtige Form des Widerstands ist die immer geringere Wahlbeteiligung. Der Grund liegt auf der Hand: Laut Forsa-Umfrage vom Sommer 2009 glauben nur noch fünf Prozent der Deutschen, sie könnten die Politik durch Wahlen »in starkem Maße« mitbestimmen. 57  Prozent glauben, man könne wenigstens »etwas« mitbestimmen, während 38  Prozent nicht einmal das für möglich halten. Besonders realistisch sind Arbeiter: Dass sie die Politik durch Wahlen maßgeblich beeinflussen könnten, meinen null Prozent. »Das Vertrauen ins demokratische Ideal ist zur Restgröße verkümmert«, fasst Hans-Ulrich Jörges im
Stern
zusammen. [68]
    Nur folgerichtig geht bei Kommunalwahlen meist weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten zur Urne. Und bei der Schicksalswahl 2009 in Hessen erreichte die Wahlbeteiligung mit 61  Prozent ein historisches Tief: Ein Jahr zuvor bei der »Ypsilanti-Wahl« lag sie noch bei 64 , 3  Prozent. [69] Selbst die Bundestagswahl im September 2009 erreichte mit blamablen 70 , 2  Prozent einen historischen Tiefststand. [70] Und bei der Landtagswahl in NRW im Mai 2010 fanden gerade mal 59 , 3  Prozent der Wahlberechtigten den Weg ins Wahllokal. [71]
    Das wahre Wahlergebnis von NRW
    Nichtwähler
46 , 1 %
CDU
18 , 6 %
SPD
18 , 6 %
Grüne
6 , 5 %
FDP
3 , 6 %
Linke
3 , 0 %
    Es lässt sich nicht mehr leugnen: Sowohl im Bund als auch in den Ländern sind die Nichtwähler längst die stärkste Fraktion. Besonders dramatisch ist die Entwicklung beim Bund, wo die Zahl der Nichtwähler von 9 , 9  Prozent im Jahr 1972 über 20 , 9  Prozent 2002 auf 22 , 3  Prozent bei der Wahl 2005 und auf 29 , 8  Prozent im Jahr 2009 stetig gestiegen ist.
    Das wahre Ergebnis der Bundestagswahl 2009
    Nichtwähler
29 , 8 %
CDU / CSU
23 , 7 %
SPD
16 , 2 %
FDP
10 , 2 %
Linke
8 , 4 %
Grüne
7 , 5 %
    Ein Grund für diese Enthaltsamkeit der Wahlberechtigten ist die schwindende Unterscheidbarkeit der Parteien. Anthony Downs, der Mitbegründer der
Neuen Politischen Ökonomie,
führt diese Entwicklung auf den Eigennutz der Politiker zurück. Sie hätten »als Hauptmotiv den Wunsch, sich die mit dem Regierungsamt verbundenen Vorteile zu verschaffen; daher streben sie nicht die Regierung an, um vorgefasste politische Konzepte zu verwirklichen, sondern formulieren politische Konzepte, um an die Regierung zu kommen«. [72] Logische Folge ist die permanente Suche nach Marktlücken. So macht schon mal die SPD auf
law and order
(Schily) und neoliberal (Agenda 2010 ), die Union dagegen auf sozial (von der Leyen). Die FDP spielt die Pharmakonzerngegnerin (Rösler), und die Grünen machen sowieso seit eh und je alles mit, was ihnen zum Erringen und Erhalten der Macht nützlich ist: ob Afghanistankrieg oder Hartz IV , Gerhard Schröders Unterstützung der Auto- und AKW -Industrie oder gleich eine schwarzgrüne Koalition.
    Bei diesem Bäumchen-wechsle-dich-Wirrwarr ist es keinem
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