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Die Ratten im Maeuseberg

Die Ratten im Maeuseberg

Titel: Die Ratten im Maeuseberg
Autoren: Léo Malet
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dieser zweite Anruf gekommen wär...
     
    * * *
     
    Es ist kurz nach drei. Ich
parke meinen Wagen an der Place Jules-Henaffe. Dugat 12, ein solides Modell mit
einem Kofferraum, in dem man notfalls zwei Leichen auf einmal transportieren
kann. Bei meiner besonderen Begabung für derartige Fundsachen ist es besser,
wenn ich Vorsorge. Nichts Besonderes also, mein Wagen. Gehört zu meiner
Arbeitsausrüstung. Wenig geeignet, den verzweifelten armen Seelen zu
imponieren, die mich gewöhnlich zu Hilfe rufen. Darum parke ich ihn meistens in
einiger Entfernung zur Wohnung meiner Klienten.
    Ich lasse meinen Wagen also an
dem kleinen Platz stehen. Die „Grünanlage“, kahl wie ein Glatzkopf, krepiert
daran, immer mehr zu vertrocknen und nicht mit dem nahen Parc Montsouris
konkurrieren zu können. Die Sonne knallt auf den Wasserspeicher von Montsouris,
dessen grasbewachsene Böschung sich hoch über die Avenue Reille erhebt. Halb
Paris wird von hier aus mit Trinkwasser versorgt. Unter dem Kranzgesims des
beinahe militärisch scheinenden Kunstwerks springt das Baujahr ins Auge:
    1888.
    Ein ziemlich großer Mann in
weißem Kittel geht auf halber Höhe der Pseudo-Zitadelle den Rundgang entlang.
Parallel zu ihm, etwa fünfzehn Meter weiter unten, auf der Avenue Reille,
begleite ich ihn, ohne daß ich von ihm oder er von mir weiß. Plötzlich
verschwindet er in einer Tür, die ins Innere der feuchten Gänge führt. Ich gehe
am Gitterzaun des Parks entlang die Rue Nansouty hoch,
Richtung Boulevard Jourdan und Universitätsgebäude. Hab in der Rue du Douanier
zu tun (nicht Douanier Rousseau, ganz einfach nur Douanier). Die Villa erkenne
ich sofort unter den vielen hübschen Häusern, von denen Paris in dieser Gegend
‘ne Menge zu bieten hat. Moderne Gebäude mit breiten Fenstern oder
unauffälligere Pavillons mit selten mehr als einer Etage, mitten im Grünen.
Ruhige, angenehme Wohnungen von Künstlern oder Leuten mit Geld.
    Das Haus, in das mich die
Pflicht ruft, stammt aus den Anfängen unseres Jahrhunderts. Hochparterre, eine
Etage. Wozu das Türmchen an der linken Seite gut sein soll, ist nicht ganz
klar. Die Fenster sind breit und hoch, vor einem hängt ein Blumenkasten.
Blühende Blumen auch in dem kleinen Vorgarten. Dahinter, halb verdeckt von
einem Baum, badet eine Frau aus Stein (nackt, wie das so üblich ist) ihre Füße
in einem winzigen Brunnen, in dessen Mitte ein Wasserstrahl plätschert.
    Auf mein Klingelzeichen hin
erscheint ein Dienstmädchen. Sieht nicht besonders schlau aus. Ihre Wangen sind
noch immer vom Wind ihres Heimatkaffs gerötet.
    „Bin ich hier richtig bei
Monsieur Gaudebert?“
    „Ja, M’sieur.“
    „Ich habe mich für halb vier mit
ihm verabredet. Hier meine Karte.“
    „Ja, M’sieur. Wenn M’sieur mir
folgen wollen...“
    Sie führt mich in den Salon und
meldet mich bei ihrem Herrn an. Der Salon ist geschmackvoll eingerichtet. Ich
will mir gerade ein Bild an der Wand genauer ansehen, da höre ich hinter mir
ein leises Geräusch. Wie ein Vorhang, der runtergelassen wird. Ich erwarte das
Dienstmädchen oder meinen zukünftigen Klienten, drehe mich um... und vor mir
steht ein ganz bezauberndes junges Mädchen.
    Zwanzig, zweiundzwanzig. Sagen
wir dreiundzwanzig, und reden wir nicht mehr drüber. Ziemlich hochgewachsen.
Sehr schöne rote Haare. Kurzgeschnitten. Leider. Eine so schöne Haarfarbe.
Vielleicht nicht von Natur aus, aber schön. Goldbraune Augen, seltsam glänzend,
etwas mandelförmig. Oder täuschend echt geschminkt. Leichte Schatten unter den
Augen, was das Gesicht noch interessanter erscheinen läßt. Das regelmäßige Oval
kommt allerdings auch ganz gut ohne Schatten zurecht. Eine zarte, sinnliche
Nase über einem anmutig geschwungenen Mund. Die junge Frau trägt einen leichten
grauen Faltenrock und ein knappes ärmelloses Oberteil, knallweiß, das ihren
wohlgeformten Oberkörper betont und die Bräune hervortreten läßt.
    Sie sagt nichts, sieht mich nur
fragend an. Ich verbeuge mich und stelle mich vor:
    „Guten Tag, Mademoiselle. Mein
Name ist Nestor Burma. Monsieur Gaudebert erwartet mich. Er hat mich heute morgen in meinem Büro angerufen.“
    Sie fährt sich mit ihrer
rosigen Zungenspitze über die Lippen. Dann lächelt sie auch noch. Ein
charmantes Lächeln, sanft und zärtlich.
    „Ach ja, natürlich“, sagt sie.
„Nett, Sie kennenzulernen, Monsieur Burma.“
    Auch ihre Stimme ist sanft und
zärtlich. Die Kleine kommt auf mich zu, streckt mir ihre schmale Hand hin.
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