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Die Ratten im Maeuseberg

Die Ratten im Maeuseberg

Titel: Die Ratten im Maeuseberg
Autoren: Léo Malet
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Die
Finger mit den lackierten Nägeln sind weich, kühl wie Morgentau.
    In diesem Augenblick kommt das
Dienstmädchen zurück.
    „Oh , pardon, Madame“, sagt sie, als sie uns sieht, mich und
das... tja... junge Mädchen? Die junge Frau? Sie hat mich nicht verbessert, als
ich sie mit „Mademoiselle“ anredete... Ich seh auf die Hände des weiblichen
Wesens. Mehrere Ringe. Vielleicht verbirgt sich der Ehering im Schatten eines
größeren. Jedenfalls seh ich keinen.
    „Monsieur Gaudebert erwartet
Sie, M’sieur“, sagt das Dienstmädchen.
    Ich verbeuge mich und geh an
dieser hübschen Person vorbei. Im Treppenhaus frage ich:
    „War das die Hausherrin?“
    „Ja, M’sieur.“
    Ich verkneife mir jeden
Kommentar. Der Hausherr erwartet mich oben an der Treppe. Ein großer Bursche,
kräftig gebaut, sehr würdevoll. Ungefähr sechzig. Vielleicht ein wenig dick,
vielleicht ein wenig aufgedunsen. Einen Gesichtsausdruck wie der selige Joseph
Caillaux, mit einem ständigen verkrampften Lächeln im rechten Mundwinkel. Die
gleiche Glatze wie der Senator der Sarthe , und die
buschigen Augenbrauen von Clemenceau, um in der Politik zu bleiben. Ein kalter
Blick, durchdringend, sehr ungemütlich. Weiße, fette Bischofshände; allerdings
mit ungepflegten Fingernägeln. Schwarze Schuhe, Nadelstreifenhose wie zur
Preisverleihung, graue Hausjacke aus Alpakawolle.
    Monsieur Gaudebert geht mir
voraus in ein Büro mit Blick auf den Parc Montsouris. Wir setzen uns, und er
legt sofort los:
    „Ich habe nur Gutes über Sie
gehört, Monsieur Burma. Unsere Berufe hätten uns vielleicht früher zusammenführen
können. Aber ich habe schon vor einiger Zeit meinen Rücktritt eingereicht.“
    „Hm...“
    „Mein Name sagt ihnen nichts.
Das ist auch nicht so wichtig. Für das, worum ich Sie bitte, brauche ich ihnen
schließlich nicht mein ganzes Leben zu erzählen. Nur soviel: jemand will mich
erpressen, und Sie, Monsieur, sollen das in Ordnung bringen. Ich kenne meinen
Erpresser. Ein Strolch. Leider hab ich ihn empfangen, hab mich erweichen
lassen...“
    Gaudebert lacht bitter.
    „Erweichen! Ausgerechnet ich!
Man könnte meinen, man ändere sich mit dem Alter. Ich könnte mich genausogut an
die Polizei wenden, aber ..
    „...Sie tun es nicht.“
    „Nur keine falschen Schlüsse,
Monsieur Burma! Ich hab keine Angst vor der Polizei. Nur vor deren
Indiskretion. Und die Polizeidienststellen liegen zu dicht am Palais de
Justice, wo ich bekannt bin. Ich möchte keinen Skandal...“
    Am Palais de Justice? Irgendwas
bewegt sich in meinem Unterbewußtsein.
    „Nein, keinen Skandal“, fährt
der Mann fort, der im Palais bekannt ist. „Ich werde so etwas nicht zulassen,
komme, was da wolle! Das sollen Sie diesem Erpresser klarmachen. Meine Würde
verbietet es mir, auf ihn zuzugehen. Aber Sie können ihm sagen: Sollte er seine
Absichten weiterverfolgen, werde ich ihn zertreten wie einen Wurm. Soviel
Einfluß hab ich noch. Ich hoffe, er begreift das. Sie werden dann der einzige
sein, der von dem Erpressungsversuch weiß. Wenn er es nicht begreift, werde ich
meine Beziehungen spielen lassen. Schlimm für mich, aber noch viel schlimmer
für ihn.“
    „Haben Sie Ihre... äh...
Beziehungen... äh... im Palais?“ Er lacht kurz auf.
    „Ich glaub, so langsam wissen
Sie mich einzuordnen...“ Seine Stimme ist leiser geworden, sein Blick glanzlos.
„Ich bin nicht mehr derselbe. War im Gefängnis, nach der Befreiung. Dieser
kurze Aufenthalt in den Kerkern der IV. Republik hat meine Einstellung ziemlich
verändert. Aber... was geschehen ist, ist geschehen. Übrigens... Ich bereue
nichts...“
    Plötzlich fällt der Groschen
bei mir. Pfennigweise, aber daran ist die Hitze schuld. Ich schnippe mit den Fingern.
Und wie ich Monsieur Gaudebert-Caillaux einordnen kann!
    „Monsieur Armand Gaudebert. Der
Herr Oberstaatsanwalt!“
    Er richtet sich etwas auf in
seinem Sessel, steif, trocken, unbeugsam wie das Gesetz, dem er so unerbittlich
gedient hat.
    „Jawohl, Monsieur.“
    Mir läuft es kalt über den
Rücken, trotz der Hitze. Das Büro, in dem ich mich befinde, die Bäume des Parc
Montsouris draußen vor den offenen Fenstern, all das ist verschwunden. Ich
komme mir vor wie ein Angeklagter zwischen zwei Wachposten, Auge in Auge mit
den Zuschauern im Schwurgerichtsaal, diesen Schakalen. Monsieur Gaudebert,
Oberstaatsanwalt! Der Mann, der krank wurde, wenn die Köpfe nicht rollten, wie
er wollte! Erstaunlich. Monsieur Rübe-ab! Wie der, den Willette schon 1903 in
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