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Die Ratten im Maeuseberg

Die Ratten im Maeuseberg

Titel: Die Ratten im Maeuseberg
Autoren: Léo Malet
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hätte?“
    „Deswegen hab ich mich ja auch
an Sie gewandt“, sagte er würdevoll. „Es mußte jemand Außergewöhnliches sein,
ein zäher Bursche. So einer wie Sie.“
    Ich verbeugte mich.
    „Fühl mich sehr geschmeichelt.
Hat aber nichts zu sagen. Wer von uns beiden ist eigentlich bescheuerter? Ich
gehorche wie’n Doofmann, und du machst alles so kompliziert wie möglich.
Verdammt nochmal! Ich weiß ‘ne ganz einfache Methode, mich in das so
geheimnisvolle Geheimnis einzuweihen! Völlig ungefährlich. Du hättest zu mir
ins Büro kommen und dort die Hüllen fallen lassen können, wie du so schön
sagst.“
    Hélène wäre begeistert gewesen!
    „Eben nicht! Ich sag’s noch
mal: Ich mußte wissen, ob ich Ihnen vertrauen kann. Und ich wollte Ihnen
beweisen, wie sehr ich Ihnen vertraue... Damit das klar ist, mein Lieber: das
Ding bringt mehr als zehn Riesen!“
    „Viel mehr?“
    „Sehr viel mehr.“
    „Wieviel mehr?“
    „Ein paar Millionen.“
    Ich spitzte die Ohren. Bis
jetzt hatte ich gedacht, er wollte mir den Erpressungscoup mit dem
Ex-Oberstaatsanwalt verklickern. Aber bei dem konnte man beim besten Willen
keine mehrere Millionen absahnen.
    „Im Ernst?“
    „Ehrenwort.“
    „Hast du nicht was von ‘ner
sauberen Sache gesagt?“
    „So sauber wie...“
    Ich seufzte.
    „Ja, ja, schon gut. Kommst du
grade aus Fresnes oder aus Sainte-Anne ?“
    „Fresnes.“
    Lachend fügte er hinzu:
    „Aber vielleicht wird’s ja mal
Sainte-Anne!“
    Ich stimmte in sein Lachen ein.
    „Klar, wenn du so weitermachst!
Kann schneller kommen, als es dir lieb ist. Na ja... Gehen wir erst mal zu dir.
Immerhin, für’n paar Millionen, hm? Dafür kann man schon mal ‘n paar Meter
gehen. Ist es weit?“
    „Rue Blottière.“
    Er ballte die Fäuste, räusperte
sich und spuckte auf den Boden.
    „Ein beschissenes Viertel in
der beschissensten Bruchbude der beschissenen Straße“, fauchte er. „Das einzige
Saubere sind die Wanzen. Blank wie Marienkäfer.“
    Hoffentlich waren sie nicht
auch genauso groß!
     
    * * *
     
    Zum letzten Mal hatte ich 1938
was über die Rue Blottière gehört. Damals wurden dort drei Portionen Fleisch
entdeckt, die allerdings nicht mehr zum Verzehr geeignet waren. Der freundliche
Dr. Paul in seinem schmucken gerichtsmedizinischen Institut identifizierte die
Stücke als Rumpf, rechten Arm und linken Oberschenkel einer alten Dame, die
ihren Kopf verloren hatte. Früher war diese Gegend maßgeschneidert für
derartige Sezierkünste am menschlichen Objekt. Seitdem ist es etwas besser
geworden. Jedenfalls in diesem Viertel. Aber hier und da waren noch die Spuren
der früheren Folklore zu sehen. Zum Beispiel das Haus, in dem Ferrand wohnte.
Es hielt das, was der angewiderte Mieter versprochen hatte.
    Zwei niedrige Etagen, in tiefem
Schlaf versunken oder in träger Erwartung undurchsichtiger Dinge, eine
zerfressene Fassade, davor eine Baustelle nach Feierabend, dahinter die
Schienen des Güterbahnhofs: eine Bruchbude, die sich neben anderen Gesetzen
über die der Statik lustig machte. Trotz der geteerten Strebebögen schien es
dem leisesten Windstoß kaum was entgegenzusetzen zu haben. Zwischen den Bohlen
und dem unteren Teil der Mauer wucherte Gestrüpp, wie man es überall auf
unbebautem Gelände findet. Ewig staubiges Grünzeug, unerträglich für Nase und
Auge.
    Vor der Tür dieser Bruchbude
hielt eine Gaslaterne blinde Wache. Eine jener echten Gaslaternen, die vom
Aussterben bedroht sind. Man wundert sich immer, daß keine Leiche an ihnen
baumelt.
    Wir betraten den Hausflur. Ein
widerlich muffiger Geruch nahm mir den Atem. So unwahrscheinlich es auch
klingen mag: diese Wanzenhütte hatte Elektrizität! Der Fortschritt läßt sich
nicht aufhalten. Ferrand drückte auf den Knopf für das Minutenlicht. Eine
schwache Birne warf schummriges Licht in das Treppenhaus. Grade mal genug, um
die erste Stufe zu finden und der Bananenschale auszuweichen, die dort vor sich
hin faulte. Besser als nichts.
    „Gehn wir rauf“, sagte mein
tätowierter Bekannter jetzt etwas lauter. „Ich geb dir die Latschen, und dann
hoff ich, daß du Leine ziehst. Auch wenn wir zusammen in Gefangenschaft
waren...“
    Ich hüllte mich in Schweigen.
Schließlich war er der Star des Abends, nicht ich. Und außer der Sprechprobe
eben im Bistro kannte ich meinen Text überhaupt nicht.
    Wir gingen also nach oben.
    Das wacklige Treppengeländer
klebte vor Dreck. Die Stufen waren eigentlich keine Stufen, sondern
Regalbretter. Wie bei
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