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Die Ratten im Maeuseberg

Die Ratten im Maeuseberg

Titel: Die Ratten im Maeuseberg
Autoren: Léo Malet
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‘ner modernen Kunstausstellung. Überall lag irgendwelcher
Kram: Zigarettenkippen, abgebrannte Streichhölzer, zerknüllte Zigarettenschachteln.
Obszöne Schmierereien verzierten die gelbgrüngestrichenen Wände. Ein hübsches
Haus, sehr einladend. Hier wohnten offensichtlich nur abgewrackte Ganoven (wie
zum Beispiel Ferrand) oder sonstiger Abschaum. Konnte mir lebhaft vorstellen, daß
er hier weg wollte. Was ich mir aber nicht vorstellen konnte, war, daß eine
Frau, auch die heruntergekommenste, hier wohnen mochte. Aber ich täuschte mich.
Auf dem schmalen Treppenabsatz in der ersten Etage begegnete uns eine
Rothaarige. Schon die zweite heute. War wohl mein Tag. Ich hätte das Horoskop
im France-Soir lesen sollen. Vielleicht stand da was Entsprechendes in
der Spalte Liebe, Bekanntschaften .
    Sie schwankte aus einem dunklen
Zimmer, in der Hand eine leere Literflasche. Sah so aus, als wollte sie für
Nachschub sorgen. In ihrem Mund glimmte eine Zigarette. Als sie uns sah,
drückte sie sich gegen die Wand.
    Ich gab ihr dreißig Jahre, mehr
nicht. Ihre kupferroten Haare schrien dringend nach einem Kamm, waren aber auch
so sehr schön und einigermaßen gepflegt. Damit meine ich, daß vor nicht allzu
langer Zeit ein Friseur seine Hände im Spiel gehabt hatte.
    Jetzt aber fielen sie ihr
unordentlich auf die Schulter, außer einer Strähne, die über einem Auge hing.
Das andere Auge sah angetrunken auf das Elend um sich herum. Die Frau war
mittelgroß, hatte eine zarte, sinnliche Nase, schön geformte, genießerische
Lippen. Wahrscheinlich ein sehr hübsches Gesicht, wenn man sich die Spuren des
Alkohols wegdachte. Aber lange würde es dem Raubbau nicht mehr standhalten.
    Mich überkam plötzlich ein
unwirkliches Gefühl angesichts dieser jungen Frau. An diesem Ort hatte ich
etwas anderes erwartet. Sicher, sie hatte schon mal bessere Tage gesehen. Aber
eine richtige Nutte war sie auch nicht. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Ich
hätte nicht sagen können, was es war. Vielleicht der letzte Rest Eleganz. Ein
ganz kleiner Rest, winzig, zerbrechlich wie ein Liebesschwur. Ich hatte das
seltsame Gefühl — wie im Traum — , eine Erscheinung
vor mir zu haben, ein Gespenst, das sich im Schloß geirrt hatte. Und dann war
da noch was anderes. Unweigerlich mußte ich an die andere Rote denken, die
Kleine in der Rue du Douanier. Kleine ist gut. Die Gattin — oder so was
Ähnliches — von Monsieur Gaudebert. Nachdenklich schüttelte ich den Kopf. Irgendetwas
stimmte hier nicht.
    Sie trug einen roten
Morgenmantel, schmierig, ausgefranst, zusammengehalten von irgendeiner Schnur.
Die Füße steckten in alten Latschen. Sehr gemütlich. Eine kleine, feste Brust
sah vorwitzig durch die Öffnung des Mantels. Auch sie gehörte nicht zu denen,
die ich hier in dieser Baracke erwartet hätte. Das Modell, das hier hingehörte,
wäre weich und schlaff gewesen, Typ Tabaksbeutel.
    Die Frau lallte
unverständliches Zeug und versuchte, ihre Toilette in Ordnung zu bringen. Das machte
sie so ungeschickt, daß die Schnur auf den Boden fiel. So konnte ich
feststellen, daß die Rothaarige außer einem Paar heruntergerutschter
Nylonstrümpfe kein überflüssiges Kleidungsstück trug. Gut zu verstehen, bei
diesen Temperaturen! Sie stieß einen gepfefferten Fluch aus (von wegen
Eleganz!) und hob die Schnur wieder auf, wobei sie beinahe lang hinfiel. Dann
brachte sie Ordnung in das Durcheinander, so gut es ging, drehte sich um und
verschwand wieder im Zimmer. Die Tür krachte ins Schloß, daß man Angst um das
Haus haben mußte. Sekunden später hörte ich, wie Glas zersplitterte. Die
Flasche war ihr wohl aus der Hand gerutscht.

4.

Die Ratte von Montsouris
     
    Ferrand hauste in derselben
Etage. Ich folgte ihm in seine Bude. Er drehte den Lichtschalter. Eine nackte
Glühbirne tauchte das Zimmer in ein blasses, ebenso schwindsüchtiges Licht wie
im Hausflur. Das Richtige für Wanzen mit empfindlichen Äuglein.
    „Was war das für ‘ne Frau auf
der Treppe?“ fragte ich.
    Ferrand schloß von innen ab und
zog einen mottenzerfressenen Vorhang vor die Tür.
    „Keine Ahnung“, murmelte er.
    Ich beobachtete ihn.
    „Komisch“, bemerkte ich. „Sieht
ziemlich verkommen aus, abgerissen... jedenfalls die wenige Kleidung, die ich
eben gesehen habe... und völlig blau. Trotzdem hat man das Gefühl sie gehört
nicht hier hin.“
    „Tja“, brummte Ferrand. „Und
ich? Meinen Sie, ich gehöre hier hin?“
    Er machte eine weitausholende
Bewegung. Ich antwortete
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