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Die Ratten im Maeuseberg

Die Ratten im Maeuseberg

Titel: Die Ratten im Maeuseberg
Autoren: Léo Malet
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Verabredungen
hat.
    Ich hatte es nicht für nötig
gehalten, meine Kanone einzustecken. Jetzt bedauerte ich das beinahe.
    Ich drückte mich in eine
Häuserecke, mit dem Rücken zur Wand. Bloß keine bösen Überraschungen! Ich
wartete.
    Da ich nichts anderes zu tun
hatte, ließ ich den vergangenen Tag an mir vorbeiziehen. Alles, was sich seit
dem Morgen ereignet hatte, durchlebte ich in Gedanken noch einmal.

2.

Der Wolf im Schafspelz
     
    10 Uhr. Hélène und ich sitzen
im Büro und löschen unseren Durst. Durch die geöffneten Fenster dringt
fröhlicher Straßenlärm zu uns. Der Tag verspricht, was er dann auch halten
wird. Das Thermometer hat bereits eine schwindelerregende Höhe erreicht. Seit
1940 hat Paris keinen so heißen Sommer erlebt.
    Die ewigen Nörgler fragen sich
schon, ob das ein gutes Zeichen ist.
    In Hemdsärmeln, ohne Krawatte,
mit offenem Kragen, Pfeife im Mund, wegen und trotz der Hitze: so sitze ich
hier und schicke dicke Rauchwolken in Richtung Ventilator, der sie surrend
zerrupft. Ich sehe zu meiner Sekretärin rüber, die an ihrem Tisch sitzt. Ich
denke: die sind alle gleich. Haben nicht den Mut, ihre Ansicht frei heraus zu
zeigen. Hélène trägt ein luftiges Kleid in kräftigen Farben, ärmellos und
großzügig ausgeschnitten. Steht ihr sehr gut, das schicke Teil. Und dieses Dekolleté
hat mich so nachdenklich gemacht. Täuscht genauso wie ein falscher Zeuge. Man
kann ruhig hineinschielen, das Beste von allem ist sowieso noch mal separat
verpackt. Gehört sich das? Bei dieser Hitze muß das doch eine Tortur sein!
Gerade will ich dem schönen Kind meine Meinung sagen, als das Telefon klingelt.
    „Hallo?“
    „Nestor Burma?“ fragt eine
gedämpfte Stimme.
    „Höchstpersönlich.“
    „Hier Ferrand.“
    Der Name sagt mir erst mal gar
nichts.
    „Ferrand?“
    „Paul Ferrand. Wir haben uns im Stalag kennengelernt, und dann ..
    „Ach ja, natürlich! Jetzt
dämmert’s mir. Ferrand! Bist du raus aus dem Knast?“
    „Ja. Ich muß Sie treffen.“
    „O.K. Werd bei meiner Concierge
‘n Tausender für dich hinterlegen. Kannst ihn dir abholen, wann du willst.“
    „Sie verstehen mich falsch. Ihr
Tausender kann mich mal. Hab nicht die Absicht, Sie anzupumpen. Nicht daß ich
nicht blank wär! Aber Ihr Tausender ist mir scheißegal. Ich muß Sie treffen.“
    „Na gut, dann rutsch rüber.“
    „Nicht bei Ihnen. Wir machen
das folgendermaßen...“
    Und er erklärt mir das
Drehbuch. Bläst mir so sehr die Ohren voll, daß ich mit allem einverstanden
bin.
    „Also dann, bis heute abend,
ja?“ sagt er, bevor er auflegt.
    „O.K.“, antworte ich
automatisch.
    „Wer war das?“ fragt Hélène.
    „Ein gewisser Ferrand. Hab ihn
in der Gefangenschaft kennengelernt. Hinterher hab ich ihn noch hin und wieder
mal gesehen. Kommt gerade aus dem Knast. Fünf Jahre. Weiß nicht mehr, wofür.
Ein ziemlich sympathischer Gauner, weit über dem Durchschnitt. Nicht das
Übliche. Überhaupt nicht. Er will mich treffen...“
    „Das ist ja nicht unüblich“,
wirft meine Sekretärin ein.
    „Hören Sie sich erst mal alles
bis zum Schluß an. Das Treffen soll heute abend stattfinden, Rue de Moulin-de-la-Vierge, 14. Arrondissement, in einer
Billardkneipe, ganz zufällig. Ich muß mich als Clochard verkleiden. Wird wohl
‘ne abenteuerliche Karambolage werden. Mit Erkennungszeichen. Ja, ein ganz
Gründlicher, dieser Ferrand! Damit wir uns nicht verwechseln, muß ich meine
Pfeife mit dem Stierkopf rauchen. So eine hatte ich auch schon im Lager. Er
wird mir seine Tätowierung zeigen. Ich glaub, der weiß nicht, was ich von Beruf
bin. Verwechselt mich wohl mit einem Schauspieler. Na ja, egal! Wußte gar
nicht, daß in der Bibliothek von Fresnes Kriminal- oder Spionageromane stehen.
Hat sich wohl im Zuge des modernen Strafvollzugs geändert. Die Lektüre ist
diesem Ferrand zu Kopf gestiegen.“
    „Und? Gehen Sie hin?“
    „Zu der Verabredung?“
    „Ja.“
    „Aber natürlich“, sage ich
lachend. „Und wenn andere Bekloppte möchten, daß ich als Frau verkleidet zur
Poterne des Peupliers gehe, als Priester am Saint-Martin-Kanal entlangspaziere
oder im Adamskostüm über die Place de la Concorde, notieren Sie bitte
genauestens ihre Anweisungen. Wird mir ‘n Vergnügen sein, die Rollen
nacheinander zu spielen. Schließlich bin ich ja dazu da, die Leute zu
amüsieren, oder?“
     
    * * *
     
    In Wirklichkeit hätte Ferrand
an seinem Billardtisch warten können, bis daß Kommißbrot Kuchen würde. Wenn da
nicht noch
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