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Die Ratten im Maeuseberg

Die Ratten im Maeuseberg

Titel: Die Ratten im Maeuseberg
Autoren: Léo Malet
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Glück aber auch! Weil... äh... na ja,
wo wir schon mal hier stehen... äh... Hast du nicht vielleicht zwei-
oder dreihundert Francs übrig? In Erinnerung an Stacheldraht und
Brigadegeneral, hm? Nur um meinem Stier Gras zu geben. Zwei- oder dreihundert.
Dann komm ich schon klar...“
    „O.K.“, knurrte Ferrand.
    Damit hatte er gerechnet. Er
holte aus seiner Hosentasche zwei zerknitterte Scheine und gab sie mir. Dankbar
lächelnd steckte ich das Geld ein.
    „Wie wär’s mit einem Gläschen,
als Zinsen?“ schlug ich vor.
    Er verzog das Gesicht.
    „Nein, danke.“
    Sein Tonfall war so trocken wie
meine Kehle. Ich gab nicht auf, und schließlich ließ er sich doch von mir
einladen. Wohl in der Hoffnung, mich dann loszuwerden. Wenn das nicht so war,
war es gut gespielt.
    Wir setzten uns an die Theke.
Der einsame Weintrinker war verschwunden. Der Wirt bekämpfte immer noch die
Hitze mit Gläserspülen. Er unterbrach die Handdusche und stellte uns ein Vichy
und ein kleines Bier hin.
    Bei Ferrand (wie Clermont)
schien sich die Begeisterung dafür, einen alten Mitgefangenen zu treffen, in
Grenzen zu halten. Ich konnte die schönsten Erinnerungen unseres Aufenthaltes
in Sandbostel bei Hannover heraufbeschwören, aber er zeigte nicht die
gewünschte Wirkung. Er kommentierte meine Geschichten mit „Hm“ oder „Tja“. Mehr
kam nicht. Er ließ mich über sich ergehen. Würde wohl keine Ewigkeit dauern.
Nicht wahr, Herr Wirt? Das können Sie doch unschwer in den gequälten Blicken
lesen, die er Ihnen zuwirft, hm? Alles klar, wie man bei der Reitenden
Gebirgsmarine zu Fuß sagt. Und dann gehen manche Leute ins Kino! Zum Totlachen!
    Aber ich wollte keine Wurzeln
schlagen. Ich zahlte, drückte Ferrand noch mal die Hand und verzog mich. Schon
in der Tür, den Backofen draußen vor mir, hörte ich den Tätowierten brummen:
    „Wieder son’n Schnorrer.“
    „Sind alle gleich“, stimmte der
Wirt ein.
    Darum also sein hartnäckiges
Schweigen! Er sagte nur was, wenn ihm was besonders Originelles einfiel.
     
    * * *
     
    Schlendernd erreichte ich die
Rue Vercingetorix, und schlendernd versuchte ich, hier auf dem Bürgersteig
zwischen Rue de Gergovie und Rue d’Alesia so wenig Aufmerksamkeit wie möglich
zu erregen. Die Rue Vercingetorix war genauso tot wie der Mann aus der
Auvergne, dessen Namen sie trägt. Absolute Stille. Manchmal eignet sich das
Viertel hier hervorragend zum Nachdenken. Oder zum hinterhältigen Überfall. Ich
hatte das Gefühl, die Laternen warfen ihr Licht auf den Mittelgang eines
Friedhofs. Zwei oder drei Autos rasten nicht grade gesittet über die Rue d
Alesia. Der weiche Teer klatschte gegen das Blech. Aber dieses kurze Intermezzo
konnte man nicht zur Kategorie Lärm zählen. Kaum begonnen, war es schon wieder
zu Ende. Wie manchmal die Liebe. Einen Moment lang schien es so, als wollte
sich die menschenleere Wüste beleben. Ein Mann mit O-Beinen bog in die Straße
ein, machte aber sofort wieder kehrt. Wahrscheinlich hatte er sich in der
Richtung geirrt. Mit solchen Beinen hätte ich auf Maisons-Laffitte getippt...
Oder vielleicht hatte ich ihm Angst eingejagt. So was kommt schon mal vor. Der
nächste Nachtschwärmer bestärkte mich in meiner wenig schmeichelhaften Meinung
über mein eigenes Aussehen. Er kam unsicher auf mich zu. Sah aus wie ‘n Beamter
auf dem Heimweg von einer kleinen Feier. Als er an mir vorbeiging, warf er mir
einen seltsamen Blick zu, und gleichzeitig suchte er (mit dem anderen Auge) die
nächste Notrufsäule. Dann verschwand er plötzlich in einem Mietshaus und schlug
heftig die Tür hinter sich zu. Kurz darauf wurde oben in einer Wohnung Licht
gemacht. Na ja, trotz seiner Eile hatte er sich offensichtlich auf der Treppe
nicht den Hals gebrochen. Das Licht wurde wieder gelöscht. Jetzt war es wie
vorher: ruhig, friedlich, menschenleer. Vielleicht hier und da Leute in den
dunklen Zimmern, hinter den Gardinen auf der Lauer, wie Eulen. Die würden nicht
aus ihren Schlupflöchern gelockt werden, da könnte eine Bombe explodieren. Bei
solchen Leuten fällt unterlassene Hilfeleistung unter die Dunkelziffer der
Wahrscheinlichkeitsrechnung. Hübsche, ruhige Gegend hier, ideal für
verdächtiges Treiben. Brave Bürger, die tagsüber arbeiten und nachts schlafen,
glauben gar nicht, daß es so was gibt in Paris. Ruhige Flecken, friedlich und
bieder unter der hellen Sonne; aber in der Dunkelheit verwandeln sie sich,
werden fremd, feindlich, furchteinflößend... Vor allem, wenn man getürkte
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