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Die Raffkes

Die Raffkes

Titel: Die Raffkes
Autoren: Berndorf Jacques
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davon. Mann musterte das Gebäude, ging einige Schritte zurück, um sein Blickfeld zu vergrößern. Das Haus hatte sechs Geschosse und war zum Lehniner Platz in einem Halbrund gehalten. Vor das Halbrund hatte man einen Flachbau gesetzt, der das  Francucci’s  und einen  Wienerwald  beherbergt hatte. Über den Lokalen waren zwei Mal sechs Balkone gewesen, mindestens acht dieser Balkone waren durch die Explosion von der Hausfassade abgesägt worden und auf den Flachbau gestürzt. Steinbrocken, Glas-und Holzteile hatten in den Pulks der geparkten Pkws bis in die Nebenstraßen hinein Verwüstungen angerichtet. »Hier ist ein Block mit kariertem Papier«, sagte die Polizistin etwas atemlos, weil sie gerannt war. »Danke Ihnen«, murmelte Mann, nahm den Block und ging zurück in das zerstörte Lokal. Er bewegte sich vorsichtig bis in die vermutliche Mitte des Raumes, in dem sich der Tresen, das Büfett und die fünf Stehtische befunden hatten. Er skizzierte den Grundriss und ärgerte sich, weil ihm kein gerader Strich gelang. Seine Hände zitterten, waren nicht unter Kontrolle zu bringen. Um ihn herum bewegten sich die Spurenleute unendlich langsam. Wie Gespenster. Sie liefen gebückt oder in der Hocke, hielten in der einen Hand ein Klemmbrett und drehten mit der anderen behutsam Steine um oder zersplitterte Holzteile, Geschirr oder Töpfe und Pfannen, notierten etwas. Ein Mann hatte drei Kameras vor dem Bauch hängen, eine davon mit einem weit herausragenden Objektiv. Im Durchgang zum eigentlichen Restaurantteil hockte ein anderer Mann in einem metertiefen Explosionsloch und mühte sich ab, Erd-und Mörtelreste in Plastikbeutel zu füllen. Mann überlegte, dass die Proben vermutlich Aufschluss über die Art des Sprengstoffes geben sollten. Es war jetzt 20.11 Uhr. Eine junge Stimme rief plötzlich: »Hier liegt eine Hand.« »Liegen lassen«, zischte Mann reflexartig. Augenblicklich fand er seine Bemerkung und seinen Ton unangemessen und setzte hinzu: »Euer Chef hat gedroht, er reißt mir die Eier ab, wenn ich etwas bewege.« Der Mann mit der jungen Stimme lächelte und bemerkte: »Die Beutel für Leichenteile liegen im Bereitschaftswagen.« »Gleich«, meinte Mann. »Erst mal einen Überblick bekommen. Was ist das für eine Hand?« 
    »Weiblich. Mattrosa lackierte Nägel, glatt, jung, gepflegt, Ehering. Ach so, es ist eine rechte Hand.« »Die lebt doch!«, stieß jemand hervor. »Ich habe die Frau auf einer Trage liegen sehen. Sie hat noch Glück gehabt.« Mann zeichnete die Hand ein, machte Notizen und drehte sich langsam einmal um sich selbst. Von seiner derzeitigen Position aus konnte er sechs Leichen erkennen, grauenhaft zerrissen. Die siebte Leiche, Walter Sirtel, sah er von hier aus nicht. »Ich sehe sechs«, sagte er laut. »Ich weiß, dass schräg rechts von mir eine siebte männliche Leiche liegt. Ziemann meinte, es sind dreizehn. Zwei Kinder. Weiß jemand von euch, wo …« »Wenn Sie zwei Schritte geradeaus machen und dann hinter die Thekentrümmer schauen, da sind die Kinder. Das wären dann neun. Die anderen vier liegen im Grenzbereich zu den hinteren Räumlichkeiten. Ich denke, die Explosion hat sie dahin geblasen. Schräg links von Ihnen.« »Danke«, nickte Mann. Für Sekunden schien ihm die Szenerie vollkommen ohne Laut zu sein, als habe jemand eine Minute stillen Gedenkens verordnet. Schabende, schleifende Geräusche kämpften sich in sein Bewusstsein wie ein sich langsam hebender Vorhang. Irgendwo hämmerte jemand, ein Autofahrer hupte wild, weit entfernt plärrte ein Kind. Die Hände der Spurenleute drehten Steine, das erzeugte sanft reibende Laute. Menschen unterhielten sich. Dann war es, als würde ein zweiter Vorhang, der zu den Straßen und zum Platz, hochgezogen. Autotüren wurden zugeschlagen, jemand stellte ein Signalhorn an und ließ beim Start die Reifen quietschen. Eine Frau befahl hart: »Niemand geht da rein.« »Aber ich bin von der Polizeidirektion!«, protestierte ein Mann. »Das ist mir scheißegal«, stellte die Frau fest. Einer der Spurenleute brummelte: »Das Arschloch hat sich bestimmt noch schnell eine rote Krawatte umgehängt, um im Fernsehen besser rüberzukommen.« Ich muss mir die Kinder ansehen, dachte Mann verbissen. Und zwar sofort, ich weiß nicht, wie lange ich das hier durchhalte. Vorsichtig passierte er einen hohen Haufen zersplittertes Holz. Seltsamerweise wirkten die Kinder, als würden sie schlafen. Kein Blut, nur unglaublich blasse, durchscheinende Haut, als
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