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Die Raffkes

Die Raffkes

Titel: Die Raffkes
Autoren: Berndorf Jacques
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habe die Detonation den Kleinen sämtliches Blut entzogen. Erst als er sich zwang, genau hinzusehen, bemerkte Mann, dass ihre Köpfe verformt waren. Er zeichnete ihre Positionen ein. Es waren zwei Jungen, einer von ihnen hatte langes hellblondes Haar wie ein Engel. Der andere, der ältere, war braunhaarig und trug ein T-Shirt mit der Aufschrift  Hells Darling . Sie mochten acht und zehn Jahre alt geworden sein. 
    Mann hatte das Gefühl, gleich in Tränen ausbrechen zu müssen. Er bewegte sich ein wenig, das Gefühl verflog, so einfach war das Ausweichen. Das mahlende Geräusch seiner Schuhsohlen hatte ihn in die Wirklichkeit zurückgeholt. Er achtete peinlich darauf, wohin er den nächsten Fuß setzte, damit er auf nichts trat, was wichtig sein konnte. Aber was war hier wichtig, was unwichtig? Sein Handy meldete sich. Er drückte einen Knopf, sagte barsch: »Nicht jetzt!«, und steckte es wieder in die Jackentasche. Doch nach wenigen Sekunden meldete es sich wieder. Er zog es erneut aus der Tasche. »Katharina hier. Wieso bist du so unhöflich?« Das klang gedehnt, angriffslustig. »Ich habe zu tun«, entgegnete er kurz angebunden. »Ich wollte dir nur erzählen, dass im Fernsehen ununterbrochen über eine Sache berichtet wird, die am Ku’damm passiert ist. Jemand hat den israelischen Botschafter in die Luft gejagt.« »Das stimmt nicht«, berichtigte Mann. »Aber ich sage dir, das ist im Fernsehen!« Es klang wie ein Tadel. »Ich bin am Ku’damm«, erklärte Mann geduldig. »Und jetzt stör mich bitte nicht mehr.« Er drückte auf einen Knopf und schaltete dann das Gerät ab. Er wollte sich dem Restaurantteil zuwenden, da bemerkte er links von sich eine alte Frau. Sie wies äußerlich keinerlei Verletzung auf, kein Blut. Sie lag gekrümmt wie ein Fötus, beide Hände vor dem Gesicht. Merkwürdigerweise trug sie eine geblümte Schürze über einem alten, verblichenen blauen Rock. Dazu etwas, das wie ein dunkles T-Shirt aussah. Sicher eine Hilfe, die in der Küche Abfall wegräumte oder Geschirr spülte, dachte Mann. Zubrot für eine arme Rentnerin. »Hat sich jemand von euch die alte Frau hier angeguckt? Sie passt irgendwie nicht in dieses Restaurant.« Ein Mann erklärte gemütlich: »Sie war auch nicht drin. Sie ist mit einem der Balkone von oben in die Scheiße gesegelt. Neben ihr liegt doch auch der Liegestuhl.« Eine Bassstimme meldete ohne jede Aufgeregtheit: »Wir haben einen vierzehnten Toten. Hier!« Mann drehte sich um und sah einen der Spurenleute, einen schmalen, intellektuell wirkenden Mann, auf einem Haufen aus Backsteinbrocken und Holzteilen hocken. Er starrte zwischen seine angewinkelten Beinen. »Mann oder Frau?«, wollte Mann wissen. »Weiß ich noch nicht. Moment mal. Das ist ein Arm. Ziemlich behaart, also ein Mann. Dort ist ein Schuh. Ein Männerschuh. Schorsch, tu mir einen Gefallen und hilf mir. Nimm mal da oben die Holzteile weg und das Glas. 
    Und das ganze Zeug hier, was aus der Theke geflogen ist. Antipasti!« Er sprach das letzte Wort scharf aus wie eine Beleidigung. »So, danke. Und jetzt vorsichtig weiter.« Ein anderer murmelte: »Lebt der vielleicht noch?« »Unmöglich«, keuchte der Bass. »Der liegt unter einer Tonne Gewicht. Stemm mal den Balken da hoch und dieses Betonteil, dann kann ich das Türblatt rausziehen und wir kommen dran. Ja so, so ist es gut.« Draußen auf der Straße schrillte die Frau mit der harten Stimme: »Und wenn Sie der Bundeskanzler sind: Sie gehen da nicht rein, ehe nicht unsere Spurenleute ihre Arbeit gemacht haben. Und noch was: Die Fernsehteams da – weg da! Verdammte Hacke! Das hier ist keine Fernsehshow.« »Heilige Scheiße«, stöhnte der Bass. »Das ist der Vater. Der Vater der beiden Kinder.« Mann hielt fest, wo der Vater lag, und wandte sich dann wieder in die andere Richtung. Gleich hinter der alten Frau lag ein schwerer Tisch auf dem Rücken und bedeckte zur Hälfte die Leiche einer etwa vierzigjährigen Frau. Ihre Augen standen weit auf. Er skizzierte die Position der beiden Toten. Nun lenkte er seine Aufmerksamkeit auf den Bereich hinter der Theke und die anschließende Küche. Es hatte zwei Schwingtüren und eine große Durchreiche gegeben, von deren Konturen kaum noch etwas feststellbar war. Mann konnte erstaunlich weit in das Gebäude hineinsehen, denn in der Wand am Ende der Küche waren ebenfalls riesige Löcher, und er begriff, dass er in das zweite Restaurant, den  Wienerwald , blickte. Inzwischen war es 20.31 Uhr. Irgendwann
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