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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts
Autoren: Andrea Camilleri
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kehrt der Dottore in das kleine Büro zurück. Die Signora liegt besinnungslos am Boden. Der Dottore bringt sie wieder zu sich, die Witwe sagt, sie sei ohnmächtig geworden; die Briefe und Fotos liegen teils auf dem Schreibtisch, teils auf dem Boden. Dottor De Gregorio bückt sich, um sie aufzusammeln, aber da zischt ihn die Witwe an:
    >Lassen Sie das liegen! Fassen Sie nichts an!< Noch nie hatte er sie so erlebt, sagt Dottor De Gregorio. Die Signora war sonst zu jedermann höflich und liebenswürdig, aber jetzt schien der Teufel in sie gefahren. >Gehen Sie! Gehen Sie weg!<
    Der Dottore bedient weitere Kunden. Nach einer halben
    Stunde kommt die Signora, in der Hand zwei dicke Umschläge.
    >Wie fühlen Sie sich, Signora? Soll ich Sie nach Hause bringen?<
    >Lassen Sie mich in Ruhe!<
    Von diesem Tag an, sagt der Dottore, war die Signora nicht mehr sie selbst, keine zehn Pferde brachten sie mehr in die Apotheke. Zu ihm war sie weiterhin unleidig und mürrisch. Dann wurde Avvocato Ferlito umgebracht, und in der Stadt munkelte man, sie habe mit Cristina, der Ehefrau und Mörderin, gemeinsame Sache gemacht. Da hat Signora Siracusa ihren ganzen Besitz verkauft und ist ins Ausland gegangen. Von allem, was De Gregorio mir erzählt hat, fand ich das mit der Ohnmacht am interessantesten.«
    »Warum?«
    »Ist doch sonnenklar, Dottore! Das wissen Sie genauso gut wie ich! In dieser Schublade hat Signora Maria Carmela Spagnolo, frisch verwitwete Siracusa, etwas gefunden, womit sie nie im Leben gerechnet hätte.«
    Gegen Mitternacht fiel ihm nichts mehr ein, was er noch anstellen sollte, um die Zeit totzuschlagen. Lesen ging nicht, er war zu nervös und konnte sich nicht konzentrieren, wenn er am Ende einer Seite angekommen war, musste er von vorn anfangen, weil er nicht mehr wusste, was er gelesen hatte. So blieb ihm nur der Fernseher, aber er hatte schon eine politische Debatte gesehen - moderiert von zwei Journalisten, die wie Dick und Doof aussahen, einer bullig wie ein Elefant und der andere klapperdürr -, bei der es um den Rücktritt eines Staatssekretärs mit Reptilkopf ging; er war Rechtsanwalt und hatte die Verhaftung der Richter vorgeschlagen, bei denen er Prozesse verlor. Neben ihm hatte ein Minister mit einem Totenschädelgesicht gesessen, der ihn verteidigte und von dem man kein Wort verstand. Montalbano überwand sich und schaltete wieder ein. Die Diskussion lief immer noch. Er fand einen Sender, in dem ein Dokumentarfilm über das Leben der Krokodile gezeigt wurde, und bei dem blieb er. Montalbano musste eingenickt sein, denn plötzlich war es zwei Uhr. Er wusch sich das Gesicht, verließ das Haus und setzte sich ins Auto. Zwanzig Minuten später bog er vor dem geschlossenen Tor der Casa del Sacro Cuore rechts ab und hielt auf dem Platz hinter der Villa, wie er es auch getan hatte, als er das Trauergeleit beobachtete. Montalbano stieg aus und sah, dass in vielen Fenstern gedämpftes Licht war. Er wusste, woran das lag: an der Schlaflosigkeit im Alter, die dich dazu verurteilt, Nacht für Nacht wach im Bett oder im Sessel zu verbringen und dein Leben noch mal zu ertragen, dir Minute für Minute durch die Finger gleiten zu lassen wie die Perlen eines Rosenkranzes. Und am Ende wünschst du dir nur noch den Tod, weil er die vollkommene Leere ist, ein Nichts, befreit von Verdammung und Verfolgung durch die Erinnerung. Ohne Schwierigkeiten kletterte er über das Tor, der Mond schien hell genug, sodass Montalbano sehen konnte, wo er hintrat. Aber kaum im Park, blieb der Commissario wie gelähmt stehen. Ein Hund starrte ihn an, einer dieser fürchterlichen Bluthunde, die nicht bellen, die nichts machen, sich aber bei der geringsten Bewegung in deine Kehle verbeißen. Sein Hemd war plötzlich schweißnass und klebte auf der Haut. Er rührte sich nicht, der Hund auch nicht. Morgen Früh, wenn es hell wird, finden sie uns so, ich schaue den Hund an, und der Hund schaut mich an, dachte er.
    Mit einem Unterschied: Der Hund befand sich auf seinem Terrain, während er selbst unbefugterweise in
    dieses Terrain eingedrungen war.
    »Der Hund hat Recht«, dachte er noch mit einem berühmten Satz des Bühnenautors Eduardo De Filippo. Er musste unbedingt irgendwas tun. Doch da sprang ihm das Glück zur Seite. Ein Pinienzapfen oder eine vertrocknete Frucht plumpste von einem Baum auf den Rücken des Tieres, das überraschenderweise >Pling< machte. Es war ein künstlicher Hund, den man da hingestellt hatte, um Idioten wie ihn zu
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