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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts
Autoren: Andrea Camilleri
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erschrecken. Die Tür des Lagers hatte Montalbano im Handumdrehen geöffnet. Er zog sie hinter sich zu, knipste die große Taschenlampe an, die er mitgebracht hatte, und bekam nach den Anweisungen des Einbrechers Orazio den Schrankkoffer spielend auf. An einem Dutzend Bügel hingen Damenkleider, auf dem Fach darunter standen alle möglichen Sachen, ein winziger Eiffelturm, ein Löwe aus Pappmaschee, eine Holzmaske und andere Souvenirs. Das Innere des Kofferdeckels bestand aus mehreren Schubfächern. Darin lagen Schlüpfer, Büstenhalter, Tücher, Schals, Wollstrümpfe. Und unter dem Fach mit den Andenken gab es noch zwei geräumige Schubladen. In der ersten waren Schuhe. In der zweiten ein Karton und ein dicker Umschlag. Montalbano öffnete den Umschlag. Fotografien. Auf der Rückseite jedes Fotos hatte Maria Carmela sorgfältig Datum, Ort, Namen der abgebildeten Personen vermerkt. Da waren Maria Carmelas Eltern, ihr Bruder, der Neffe, die Frau des Bruders, eine französische Freundin, ein schwarzes Dienstmädchen, alle möglichen Landschaften. Fotos von ihrer Hochzeit fehlten. Und weit und breit kein Foto ihres Mannes. Als habe die Signora sein Gesicht vergessen wollen. Auch keine Fotos von Cristina, ihrer einstigen Herzensfreundin. Montalbano schob die Bilder wieder in den Umschlag und öffnete die Schachtel. Briefe. Sie steckten, nach Absender sortiert, in verschiedenen
    Kuverts. >Briefe von Mamma und Papa<, >Briefe meines Bruders<, >Briefe meines Neffen<, >Briefe von Jeanne<... Auf dem letzten Kuvert stand nichts. Drei Briefe waren darin. Schon als er den ersten zu lesen begann, wusste Montalbano, dass er fündig geworden war. Er steckte die drei Briefe in die Tasche, räumte alles auf, schloss den Koffer und die Tür des Lagers ab, strich dem künstlichen Hund über den Kopf, kletterte über das Tor, setzte sich ins Auto und fuhr zurück nach Marinella.
    Drei lange Briefe, der erste stammte vom 4. Februar 1947 und der letzte vom 30. Juli desselben Jahres. Drei Briefe, die glühendes Zeugnis ablegten von einer leidenschaftlichen Liebe, die wie ein Strohfeuer aufgeflammt war und auch nicht länger als ein Strohfeuer gedauert hatte. Briefe von Cristina Ferlito an den Apotheker Alfredo Siracusa, die immer auf die gleiche Art begannen - >Mein geliebter Alfredo, mein Herzblut< - und mit den Worten >Immer und in alle Zeit Deine Cristina< endeten. Briefe, die die Frau ihrem Geliebten, dem Mann ihrer besten Freundin, geschrieben hatte und die dieser unvorsichtigerweise in seinem Schreibtisch in der Apotheke aufbewahrte. In jener Schublade, die Maria Carmela auf Bitte von Dottor De Gregorio geöffnet hatte. Als Maria Carmela die Briefe damals las, fühlte sie sich bestimmt gekränkt und tödlich verletzt, doch was ihr so zusetzte, war weniger der doppelte Verrat durch Mann und Freundin als vielmehr die Worte, die diese gegen sie wählte, verächtliche Worte, höhnische Worte. Alfredo, wie kannst du nur neben so einer bigotten Frau leben? Alfredo, wie schaffst du das, dich nicht zu übergeben, wenn du morgens aufwachst und sie neben dir liegt? Alfredo, weißt du, was Maria Carmela mir neulich anvertraut hat? Dass sie seit der Hochzeitsnacht immer nur gelitten hat, wenn sie mit dir schlief. Warum ist das für
    mich dann eine solche Lust, dass ich sterben könnte?
    Montalbano kam nicht umhin, sich noch eine Lust vorzustellen, die viel bösartiger und raffinierter war: die Lust des Apothekers, sich mit der Ehefrau des Mannes zu amüsieren, der sein bester Freund in punkto Kartenspiel und Frauen und völlig ahnungslos war. Und wer weiß, wie lange die Geschichte noch gedauert hätte, wenn nicht der schöne Neffe Attilio in Cristinas Leben getreten wäre.
    Als sie die Briefe findet, beschließt Maria Carmela, sich zu rächen. Das falsche Gift hat sie Cristina schon gegeben, bevor sie hinter die Affäre gekommen war, und sicherlich bedauert sie, die Mordabsichten damals erkannt zu haben. Wenn sie gewusst hätte, was los war, hätte sie ihr echtes Gift gegeben, damit Cristina sich eigenhändig zugrunde richtete. jetzt bleibt ihr nichts anderes übrig, als auf einen falschen Schritt der einstigen Freundin zu warten. Und als diese einen Fehler macht, ergreift Maria Carmela die Gelegenheit beim Schopf und tut das ihrige, damit die Frau hinter Gitter kommt, obwohl sie weiß, dass Cristina ihren Mann mit diesem Pulver gar nicht getötet haben kann.
    Wenn sie dem Carabinieri-Leutnant die Wahrheit erzählt hätte, hätte es für die
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