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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts
Autoren: Andrea Camilleri
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und Trupia, sie hätten, trotz unzähliger Proben und Gegenproben, an den sterblichen Überresten und den untersuchten Stoffen keine Spur von Strychnin oder sonst einem Gift gefunden: Avvocato Ferlito sei an akuter Nikotinvergiftung gestorben, die zu einem tödlichen Anfall von Angina pectoris geführt habe. Cristina ist unschuldig. Aber Stefano Ferlito nimmt die Niederlage nicht hin und geht zum Gegenangriff über. Wisst ihr denn nicht, sagt er jedem, der ihm über den Weg läuft, dass die beiden geschätzten Professoren ihre Karriere zum Teil Notar Cuffaro verdanken, mit dem sie dick befreundet sind? Was habt ihr denn anderes erwartet? Avvocato Nicolosi hat Cristina diese letzte Aussage machen lassen, als er sicher war, dass die Gutachten günstig ausfielen. Und viele sind auf Stefanos Seite. Da kommt die Staatsanwaltschaft von Palermo auf eine gute Idee: Sie schickt alles, was die beiden palermitanischen Professoren für ihr Gutachten gebraucht hatten, zu Spezialisten, weltberühmten Toxikologen, nach Florenz. Als die Carabinieri die acht Behälter mit den Resten des armen Avvocato abholen, ist nicht mehr viel davon übrig, ein Teil ist verdorben, ein Teil bei den Analysen draufgegangen. Wie dem auch sei, das versiegelte Paket wird offiziell am ersten Juli nach Florenz geschickt. Doch Anfang September schreibt der Richter in Florenz einen Brief nach Palermo, in dem er fragt, warum die Sendung noch nicht da sei. Und wo ist sie hängen geblieben? Man sucht und sucht und entdeckt das Paket endlich im
    Florentiner Justizpalast, wo es in einer Dachkammer vergessen worden ist. Ende Oktober liefern nicht weniger als sechs bedeutende Professoren aus Florenz ihr Gutachten ab: Sie hätten dermaßen viel Strychnin gefunden, dass Zweifel an der Professionalität oder an der geistigen Gesundheit von Agnello und Trupia angebracht seien, den beiden Kollegen aus Palermo, die nichts gefunden hätten (oder nichts hätten finden wollen). Keine Frage: Avvocato Ferlito wurde vergiftet, Ehefrau Cristina ist schuldig. »Na, hab ich's euch nicht gesagt?«, schreien Stefano Ferlito und Avvocato Russomanno triumphierend. »Oh nein«, hält Avvocato Nicolosi vehement dagegen. »Die Sendung, die so spät in Florenz angekommen ist, wurde manipuliert!«
    »Das ist ein schmutziger Schachzug meiner politischen Gegner«, stellt Notar Cuffaro klar. »Über meine Tochter wollen sie mich schädigen!«
    Auf alle Fälle beantragt Avvocato Nicolosi ein Gutachten über den Geisteszustand seiner Mandantin, die sich jedoch als völlig zurechnungsfähig erweist.
    Kurzum, im ersten Prozess, dem von 1953, wird Cristina zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Und dann erklärt Cristina, sie könne sich erinnern, ihrem Mann in dieser berühmten Nacht zwar etwas gegeben zu haben, doch es sei fast sicher nur ein wenig Natron gewesen. Im Mittelpunkt des zweiten Prozesses, der fast zwei Jahre später stattfindet, steht das detaillierte Gegengutachten von Professor Aurelio Consolo, demzufolge die Florentiner Kollegen so beschränkt und unfähig seien, dass sie das falsche Reagenz verwendet hätten. Aus diesem Grund hätten sie Spuren von Strychnin gefunden. Da verlangt Nicolosi ein toxikologisches Obergutachten. Der Antrag wird zurückgewiesen, aber die Richter ändern das erste Urteil ab: jetzt muss Cristina noch sechzehn
    Jahre sitzen. 1957 lehnt der Oberste Gerichtshof die Revision ab, das Urteil ist damit rechtskräftig.
    Cristina schickt ein Gnadengesuch nach dem anderen aus dem Gefängnis. Und drei Jahre später setzt sich ein Justizminister, der es mit der Gerechtigkeit nicht so genau nimmt, unter dem Druck einiger einflussreicher Mitglieder seiner Partei, der auch der sture Notar Cuffaro angehört, dafür ein, der Frau die ersehnte Gnade zuteil werden zu lassen. So kann Cristina wieder nach Hause, und das Kapitel hat ein für alle Mal ein Ende.
Kapitel 5
    Es war fünf Uhr durch, lange hatte er seinen Kopf unters Wasser gehalten, um das taube Gefühl loszuwerden, nachdem er die halbe Nacht mit der jaulenden Signora Ciccina in einer Kammer verbracht hatte; er war ziemlich verwirrt nach all den Namen von Rechtsanwälten, Gutachtern, Verwandten des Toten und Verwandten der Mörderin, an die Signora Adorno sich mit besessener, mit mörderischer Präzision erinnerte, und wollte gerade ins Bett gehen, als das Telefon klingelte. Das konnte nur Livia sein, vielleicht machte sie sich Sorgen, weil sie ihn vorher nicht zu Hause erreicht hatte. »Hallo, mein
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