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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers
Autoren: Gisbert Haefs
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Hunsrück, wo es immer Räuber gegeben hat. Auf der Reise nach Trier ist seine Kutsche überfallen und geplündert worden. Er und all seine Leute wurden erschlagen.«
    Ich schwieg ein paar Atemzüge lang. »Vor fünf Jahren?« sagte ich dann. »Zur gleichen Zeit?«
    Haidlaub nickte. »Vielleicht zehn Tage nachdem du mit deinen fremden Freunden verschwunden bist. Zähl die Tage und die Meilen zusammen, Jakko; was erhältst du dann?«
    »Soldaten, die in kleinen Gruppen durchs Land ziehen, ein Dorf überfallen und ein paar Tage später den Grafen töten? Zuerst seinen Vertrauten, dann ihn selbst?«
    Haidlaub hob die Schultern. »Es könnte auch alles Zufall sein.« Dann runzelte er die Stirn. »Was willst du mit den Fragen anfangen?«
    »Antworten suchen. Antworten, die mir helfen, das zu verstehen, was geschehen ist. Und die Männer zu finden, die meine Familie und die anderen gemordet haben.«
    Ohm Krischan atmete scharf durch die Zähne ein. »Du weißt, der Herr sagt, ›Die Rache ist mein‹, nicht wahr?«
    »Vielleicht ist Er mit anderen Dingen beschäftigt.«
    »Darüber werde ich nachdenken, wenn du weitergereist bist. Ehe du gehst, will ich dir noch etwas geben, aber zuerst - zuerst möchte ich hören, was du in all den Jahren getan und gesehen hast.«
    Christian Haidlaub war seit vielen Jahren Amtmann in
Koblenz, und er mochte kaum gereist sein, doch hatte er nicht nur mit den Bewohnern der Stadt und den zahllosen Fremden zu tun, die über die alten Rheinstraßen und den Fluß zogen und Handel betrieben. Mindestens ebenso wichtig waren die Beziehungen zwischen der Stadt und dem Erzbischof und Kurfürsten von Trier, dessen Amtsleute in der Burg saßen und im Lauf der Jahre Haidlaub dazu gezwungen hatten, sich mit dem, was er »Staatsgeschäfte« nannte und nicht zu kennen vorgab, überaus gründlich zu beschäftigen. Ich war nicht überrascht, daß er die Namen ferner Orte und Lande kannte, nicht fragen mußte, in welcher Weltgegend sich dies oder jenes befand und zugetragen hatte. Als ich Krakau erwähnte, fragte er, ob ich König Sigismund gesehen hätte, ob dieser sich im Wawel aufgehalten habe und ob der Altar der Marienkirche wirklich so schön sei. Ähnliche Fragen stellte er auch zu anderen Orten. Ich weiß bis heute nicht, ob es aus Wißbegier geschah; vielleicht wollte er auf diese Weise herausfinden, ob ich die Orte tatsächlich gesehen hatte.
    Einen weiteren Grund für seine Fragen nannte er mir allerdings selbst, wenn auch nicht unmittelbar.
    »Dein Herr, wie du ihn nennst, dieser Kassem - woher kommt er?«
    »Aus Tunis. Das ist …«
    Er hob die Hand. »Ich weiß.« Er lächelte kurz. »Von dort kamen Roms beste Feinde. Fünf Jahre seid ihr also gereist? Köln, Bremen, Hamburg, Dresden, Prag, Krakau, Kiew, Nowgorod, Reval, Stockholm, Wisby, Danzig, Kopenhagen, London, Paris, Gent, Löwen, Leiden … Habt ihr unterwegs gehungert? Gebettelt? Gearbeitet?«
    »Ohm Krischan - wenn du wissen willst, ob mein Herr Kassem reich ist, warum fragst du nicht gleich?«

    »Nun denn - ist er reich?«
    »Er ist reich, klug, gebildet, tapfer. Und fromm.«
    »Ein frommer Heide?«
    Ich seufzte. »Sie sagen, es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist Sein Prophet. Sie sagen auch, ein früherer Prophet war Isa ben Mariam - Jesus, Sohn der Maria. Ist einer, der zu diesem Gott betet, ein Heide? Ich weiß es nicht. Ich habe zu unserem Herrn gebetet, als die Mörder alles vernichtet haben.«
    »Und Er hat es nicht verhindert, willst du sagen?« Haidlaub legte den Kopf in den Nacken und starrte an die niedrige Decke. »Ich wollte mit dir kein Streitgespräch über den wahren Glauben führen, Junge.«
    »Ich weiß, Ohm. Du willst wissen, ob Kassem in den christlichen Landen als Kundschafter reist. Für einen Herrn, vielleicht für den Türken.«
    »Und? Tut er das?«
    »Rede ich mit dem Amtmann oder dem Ohm?«
    Haidlaub sah mich streng an, aber dann blinzelte er. »Kleiner Teufel«, sagte er, »das hast du dir vorher überlegt, und deswegen wolltest du nicht in der Amtsstube reden, nicht wahr?«
    Ich bemühte mich nicht, ein Grinsen zu unterdrücken. »Aus der Nähe von Tunis kamen, sagst du, Roms beste Feinde, und heute ist Rom das Herz der Christenheit.«
    »Also Kundschafter für den Fürsten von Tunis, der dem Großen Türken gehorcht … Und ein kluger Mann. Wie klug?«
    »Wie mißt man Klugheit, Ohm? Zwei, die nebenein ander herdenken, wie Läufer nebeneinander rennen, und wer als erster das Ziel erreicht, ist
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