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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers
Autoren: Gisbert Haefs
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Schutz der Serenissima zu stellen, wenn du willst.«
    Ich seufzte. »Ich habe gerade nichts anderes vor«, sagte ich. »Wie fange ich an? Und kann ich vorher baden?«
     
    Ich konnte baden und durch Venedig wandern, in Tavernen trinken, mit Leuten reden. Niemand hinderte mich daran, jenen wilden Garten aufzusuchen, in dem ich vor langer Zeit geweint hatte ob der Schönheit des Sonnenaufgangs. An Lauras Seite.
    Ich wohnte in einem geräumigen Zimmer in einem der Gästehäuser des Dogen. Dort begann ich, diese Aufzeichnungen zu Papier zu bringen, und immer, wenn ich ein Bündel Seiten fertiggestellt hatte, nahm Bellini es mit und lud mich zum Trinken ein.
    Gewisse Gassen mied ich. Einmal, als ich mit dem Schreiben fast bis hierhin gediehen war, wanderte ich zerstreut, ganz in Gedanken, durch ein vergessenes Viertel und stand plötzlich vor der Druckerei.
    Ich fluchte lautlos; dann hob ich die Schultern und ging hinein. An einer Presse stand der alte Meister Giovanni; er sagte, ohne mich anzusehen: »Ja bitte?« Als ich nicht antwortete, blickte er auf, starrte mich ungläubig an, umarmte mich. Und begann zu weinen.

    »Giovanni, mein alter Freund«, sagte ich. »Warum weinst du?«
    »Weil du wieder da bist, du Trottel«, sagte er. »Hast du sie schon besucht?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Glückliche Eheleute soll man nicht stören.«
    »Ah«, sagte er. »Du weißt es also nicht?«
    »Was soll ich wissen?«
    Leise sagte er: »Sie hat ihn nie geliebt. Und er ist tot.«
    Ich sah ihn stumm an.
    »Eine Geschwulst. Sie ist nach innen und außen gewachsen, und am Schluß ging es ganz schnell.«
    Ich atmete tief durch. »Und du meinst, ich soll sie besuchen?«
    Er preßte die Lippen zu einem Strich. »Du wärst … ah, du bist ein Trottel. Weil du damals gegangen bist. Wenn du jetzt nicht zu ihr gehst, bist du ein noch größerer Trottel.« Leise setzte er hinzu: »Dich hat sie nämlich immer geliebt. Und …« Er sprach nicht weiter.
    »Was und?«
    »Ah, sieh selbst.«
    Also bin ich zu Bellini gegangen, um ihn zu fragen, ob ich, da das, was er mein »Werklein« nennt, bald abgeschlossen sein wird, für einen Tag aufs Festland gehen darf.
    »Morgen«, sagte er. »Heute schreib noch, morgen geh aufs Festland. Zu ihr, nehme ich an. Und danach schreib zu Ende. Weißt du inzwischen, was du tun willst, wenn du fertig bist?«
    »Das kommt darauf an. Vielleicht möchte ich hier bleiben. Wenn …«
    »Ei, wenn.« Er grinste. »Wenn, dann - ja, du kannst.«

NACHSCHRIFT
    D rei Jahre? dachte ich, als ich mich den Häusern am Stadtrand von Mestre näherte. Dreihundert Jahre.
    Die Papiermühle. Das andere Haus - mein Haus, das nicht mehr meines war. Ich klopfte an die Eingangstür des zur Papiermühle gehörenden Wohnhauses, und da ich innen Stimmen zu hören glaubte, ging ich nach kurzem Zögern hinein.
    Die Stimmen gehörten Kindern. Und Laura. Langsam, mit schwachen Beinen, ging ich in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Das Zimmer mit der großen Tür zum Garten. Ich klopfte noch einmal.
    »Wer ist da?« Lauras Stimme.
    Ich trat ein. Zwei Kinder, ein Mädchen und ein Junge, offenbar Zwillinge, schauten mir entgegen. Sie kamen mir vertraut vor, denn sie hatten Lauras Züge.
    Laura hatte sich zu ihnen gebückt, um ihnen irgendein Spielzeug zu reichen. Oder zu erklären. Sie richtete sich ganz langsam auf.
    »Du …« sagte sie. Es war keine Frage.
    »Nein«, sagte ich, »vor allem du.«
    Ein Lächeln, aber zugleich sah ich die Tränen, die sich in ihren Augen bildeten. »Was macht« - sie schluckte; ihre Stimme war belegt, wie verhangen -, »was macht die Rache? Der Haß?«
    In diesem Augenblick begriff ich, warum ich mich die letzten
Monate so leer gefühlt hatte. Nutzlos. Ziellos. Und daß ich nie aufgehört hatte, an Laura zu denken. Auch nicht in Straßburg - denken ohne Hoffnung, damals.
    »Der Haß?« sagte ich. »Er ist aufgebraucht. Meine Feinde haben mich im Stich gelassen; ich bin erledigt.«
    »Kannst du darauf Liebe aufbauen?«
    »Ich muß nichts aufbauen; es war nie zerstört.«
    Die Kinder blickten zu ihr, zu mir, wieder zu ihr, ohne zu begreifen, was da vor sich ging. Wie sollten sie auch.
    Die beiden Tränen lösten sich und rannen die Wangen hinab. Ich machte zwei Schritte, dann noch einen, dann hielt ich Laura in den Armen und fing die Tränen mit den Lippen auf.
    Sie hielt mich fest, wie umklammert; dann schob sie mich ein wenig von sich, sah mich an, und es kamen keine weiteren Tränen.
    »Ist es dein Ernst?«
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