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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers
Autoren: Gisbert Haefs
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Dirne lag, wehte mich aus ihrem langen dunklen Haar etwas an, das dem Duft der hellen Haare der Schwestern glich, wenn Mutter ihnen den Kopf gewaschen hatte, und ich war nicht fähig, das zu vollenden, wofür ich gezahlt hatte.
    Am Südende der Brücke, auf dem kleinen Platz vor dem Stadttor, stiegen wir ab. Das große Tor der großen Mauer der großen Stadt Koblenz war eng und niedrig, und dahinter gelangten wir in schmale Gassen voller Unrat und Menschen und Pferdekot. Später, abends, würde es aus den Schänken und aus vielen Häusern nach Essen riechen, nach Wein und Bier, aber es war geschäftiger Nachmittag, und alles roch nach den Ausscheidungen von Tieren und Menschen, nach Schweiß und Leder, klammen Wollstoffen und mürben Füßen.
    Einen Block südlich der Burg fanden wir ein Gasthaus mit Ställen. Nach kurzem Feilschen erhielten wir zwei Räume im Obergeschoß an der Rückseite des Innenhofs. Die Einrichtung bestand aus strohgefüllten Matratzen, einem Tisch, Schüssel und Wasserkrug. Immerhin schienen die Decken vor nicht allzu langer Zeit gewaschen worden zu sein und keine Schlummertiere zu bergen.
    Jorgo, Avram und ich nahmen das linke der beiden Zimmer und brachten unser Gepäck und das von Kassem hinauf. Nach flüchtiger Reinigung wechselte ich ein paar Worte mit Avram und Jorgo und klopfte dann an Kassems Tür.
    »Komm herein«, sagte er, ohne zu fragen, wer da sein mochte.
    Als ich eingetreten war und kurz den Kopf vor ihm neigte, erhob er sich von der Matratze, auf der er gesessen und gedacht oder vielleicht gebetet hatte.
    »Du willst Spuren suchen, mein Sohn?«

    »Ja, Herr. Was dich nicht überraschen dürfte.«
    Er lächelte. »Alles andere hätte mich in Verwunderung und Verwirrung geworfen. Brauchst du Hilfe? Soll einer von den anderen mitgehen?«
    Ich zögerte einen Moment. »Ich glaube nicht, daß es nötig sein wird.«
    Er nickte. »Du wirst uns hier finden. Oder nicht, je nachdem. Vielleicht essen wir später hier, vielleicht in einer anderen Schänke. Zur Nacht finden wir uns hier ein.«
    Ich stieg die enge Treppe hinab, durchquerte den Hof und suchte den Wirt. Seine dröhnende Stimme - wie Gebell, das in einem schwarzen Keller hallt - führte mich zur Küche, wo er den Koch beschimpfte und eine Schankdirne gröblich aufzumuntern suchte.
    »Und wenn dein Arsch zu fein ist, sich tätscheln zu lassen, solltest du ins Kloster gehen«, sagte er.
    »Ist er nicht.« Die junge Frau schob den Unterkiefer vor und erwiderte seinen Blick. »Ich habe ihn geschlagen, weil er beim Tätscheln einen Finger in Höhlungen schieben wollte, die nicht seinem Finger bestimmt sind.«
    »Ah.« Der Wirt lachte plötzlich. »Wohlgetan, o Schöne.« Er wandte sich mir zu. »Und Euer Begehr, Herr?«
    »Nicht tätscheln und nicht geschlagen werden«, sagte ich. Die junge Frau zwinkerte mir zu, ehe sie die Küche verließ. »Sondern eine Antwort. Wer ist Euer Amtmann?«
    »Unserer? Oder der von Trier?«
    »Eurer.«
    Der Wirt kratzte sich das struppige Kinn. »Der alte Haidlaub. Wie seit hundert Jahren. Aber das wird Euch nichts sagen.«
    »Doch, das sagt mir etwas. Wo kann er jetzt sein? In seiner Amtsstube?«

    »Vermutlich. Kennt Ihr den Weg?«
    »Ich kenne ihn. Und danke Euch.«
    Damals erinnerte ich mich an einen stattlichen Mann, einen halben Kopf größer als ich, mit hellgrauen Augen und dunklem Schopf. Vater hatte ihn mit dem Vornamen angeredet, Christian, und er war für Haidlaub »du, Georg« gewesen. Selbst heute, Jahre später, sehe ich, wenn ich die Augen schließe, den Amtmann Haidlaub so, wie er in meiner Kindheit war. Aber wenn ich an mich denke, sehe ich mich ebenfalls jünger als der Spiegel; ah, ich fürchte, die Erinnerung ist fehlerhaft. Vielleicht wählt sie aber auch nur das aus, was ihr (oder uns) gut oder eben noch erträglich erscheint, und über gewisse Lücken, die sich mit der Zeit auftun, läßt sie ein Gewirk aus Beschönigung und Einfallsreichtum wuchern.
    Der Mann, der mich mit zusammengekniffenen Augen musterte, war grau und ein wenig kleiner als ich; aber die hellgrauen Augen blickten immer noch scharf.
    »Ihr wünscht?« sagte er.
    Zwei Schreiber, die bei meinem Eintreten aufgeschaut hatten, beugten sich wieder über ihre Listen. Durch die kleinen Fenster der Amtsstube fiel mattes Nachmittagslicht, aber es war noch zu früh für Lampen.
    »Erkennt Ihr mich nicht, Herr?«
    Haidlaub legte den Zeigefinger an die Nase. Dann öffnete er die Augen weit. »Jakko?« sagte er. »Bist du
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