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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers
Autoren: Gisbert Haefs
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… seid Ihr Jakob Spengler?«
    »Bin ich. Aber Ihr müßt mich nicht ›Ihr‹ nennen.«
    »Dann sag du wie früher Ohm Krischan. Und setz dich. Woher kommst du? Gewachsen bist du; ein Mann. Wo bist du gewesen? Was … Aber setz dich doch! Ich glaube, du wirst eine lange Geschichte zu erzählen haben, nicht wahr?«
    Ich schaute mich um. Die Stube war niedrig, vollgestopft
mit Schreibpulten und Schränken, in denen sich wahrscheinlich amtliche Schriften und Blätter mit Gesetzen und Anweisungen stapelten. Neben der Eingangstür stand eine Bank, auf der Bittsteller warten mochten, ehe die Büttel im Vorraum sie zum Amtmann ließen. Mit Ohm Christian, den beiden Schreibern - die uns aus den Augenwinkeln beobachteten - und mir war die Stube beinahe überfüllt.
    »Vielleicht nicht hier?« sagte ich. »Wenn du Zeit hast, später, bei einem Glas Wein?«
    »Weißt du noch, wo ich wohne, Junge? Dann komm zu mir, wenn die Sonne untergegangen ist.«
     
    Haidlaub wohnte in einem kleinen Haus in der Nähe des Südtors. Wie die meisten anderen Gebäude hatte es ein Erdgeschoß aus behauenen Steinen, ein Obergeschoß aus Ziegeln und Balken und ein schräges Schieferdach. Der kleine Garten neben dem Haus, früher von Haidlaubs Frau mit Küchenkräutern bepflanzt und säuberlich gehegt, war verwildert.
    »Sie ist gestorben, vor einem Jahr.« Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Seitdem …« Mit dem linken Arm beschrieb er einen Halbkreis, der den unordentlichen Wohnraum umfaßte und wahrscheinlich auch den Garten einschließen sollte. »Komm, setz dich.«
    Aus einem Krug goß er hellen Wein in zwei Becher. Brot, Schmalz und eine entzündete Unschlittkerze befanden sich bereits auf dem Tisch. Der Stuhl, auf den ich mich setzte, wackelte ein wenig.
    Wir tranken einander zu. Mit einem länger ungesäuberten Messer kratzte er Schmalz aus dem Topf und verteilte es auf seinem Brot. Dabei sagte er, ohne mich anzusehen: »Fünf Jahre, nicht wahr? Du bist mit Fremden gekommen, um mir
zu sagen, daß euer ganzes Dorf zerstört ist und alle tot sind, bis auf dich.« Er beendete die Verteilung des Schmalzes und sah mir in die Augen. »Soll ich beginnen? Meine Geschichte ist kürzer, fürchte ich.«
    Ich nickte nur. Irgendwie hatte ich gehofft, von ihm Erhellendes zu hören. Wer die Mörder gewesen waren, daß man sie gestellt oder wenigstens namentlich erfaßt und geächtet habe, wenn man sie denn schon nicht fangen konnte. Den ganzen Weg zu seinem Haus hatte ich versucht, meine Schritte und das heftige Pochen des Herzens in Einklang zu bringen. Aber »kürzere Geschichte« konnte nur eines bedeuten.
    »Wir wissen nichts«, sagte er. »Nicht mehr, als du uns damals erzählt hast. Wanderer, angeblich Pilger, die in kleinen Gruppen durchs Land ziehen und sich in eurem Dorf verabredet haben, um alles zu erschlagen und niederzubrennen. Es gab Gerüchte, Gewisper, in den Wochen danach; das ist immer so, wenn derlei geschieht. Jemand hat dies oder das gesehen, aber es ist nicht sicher, ob es Sichtung oder Gesicht ist. Einbildung, verstehst du? Etwas ist geschehen, und vielleicht hat der Schatten, den ich auf dem Feld gesehen habe, etwas damit zu tun.« Er hob die Schultern.
    »Fünf Jahre«, sagte ich leise, »habe ich gehofft, hier mehr zu erfahren.« Ich trank einen Schluck des leichten, süßsäuerlichen Weins, aber damit konnte ich nicht die Enttäuschung hinunterspülen. »Wirklich nicht mehr als … das?«
    »Überlegungen, allenfalls; aber die wirst auch du angestellt haben.«
    »Das habe ich. Ohne zu großen Erkenntnissen zu gelangen.«
    Er rieb sich die Nase. Dann faltete er die Hände auf dem Tisch, neben dem Schmalzbrot, das er noch nicht angefaßt
hatte. »Sag, was du denkst, dann sage ich dir, ob es das ist, was ich gedacht habe.«
    »Pilger«, sagte ich mit einer Stimme, die mir fremd erschien, »verabreden sich nicht, um ein Dorf zu vernichten. Räuber lauern Reisenden auf oder überfallen einsame Höfe. Inzwischen mag es anders sein, aber vor fünf Jahren wird es nicht viele Räuber mit Büchsen gegeben haben.«
    Haidlaub nickte. »Weiter.«
    »Sie sind vorgegangen wie Soldaten. Ein sorgsam erwogener, verabredeter Angriff. Hinterher, nehme ich an, haben sie sich wieder zu kleinen Gruppen aufgelöst. Oder hat man eine größere Truppe reiten und marschieren sehen?«
    »Nichts dergleichen. Hier und da sind Fremde gesehen worden.« Er lachte; es war jedoch eher ein Glucksen. »Wie jeden Tag seit tausend Jahren. Oder mehr. Die
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