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Die Rache der Kinder

Die Rache der Kinder

Titel: Die Rache der Kinder
Autoren: Hilary Norman
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sie hielt Abtreibungen generell für grausam und böse. Außerdem hatte diese außergewöhnliche Wärme, diese Liebe , schon gänzlich Besitz von ihr ergriffen.
    »Wir stehen auf deiner Seite«, hatten ihre Eltern gesagt.
    Und das sei der Grund, hatten sie hinzugefügt, warum es nur eine Lösung gebe.
    »Nein«, hatte Laurie erwidert. »Nein!«
    Sie hatte sich noch einen Rest Charakterstärke bewahrt – genug jedenfalls, um ihren Eltern klarzumachen, dass sie lieber sterben als abtreiben würde.
    »Das heißt dann wohl, dass ich für alle Zeit verbannt bin«, sagte Laurie, nachdem ihre Eltern die Reise für sie arrangiert hatten. »Wenn schon niemand sehen darf, wie ich immer dicker werde, darf wohl erst recht niemand mein Baby sehen.«
    »Nicht unbedingt«, erwiderte Pete.
    »Was soll das heißen?«, fragte Laurie. Dann erkannte sie, dass ihre Eltern hofften, sie würde ihre Meinung doch noch ändern oder die Natur würde einschreiten, sodass sie ihr Kind verlor.
    »Gott möge euch verzeihen«, sagte sie.
    Die Wangen ihres Vaters hatten sich gerötet, und ihrer Mutter stand die Scham ins Gesicht geschrieben. In diesem Moment hatte Laurie erkannt, dass sie eine weitere Schlacht gewonnen hatte, denn wenn ihre Eltern sie in die Provence zu Tante Angela schickten – der Schwester ihrer Mutter –, würde sie so gut auf sich achtgeben, dass die Natur erst gar keine Chance bekam, sich einzumischen.

4. Das Spiel
    Die Mitglieder der Gruppe der vier hatten sich bereits zueinander hingezogen gefühlt, bevor das Buch in ihrer aller Leben getreten war und das feste Band zwischen ihnen geknüpft hatte. Bis dahin waren sie eher zögerliche Freunde gewesen, ein wenig misstrauisch den jeweils anderen gegenüber. Wie argwöhnisch schnüffelnde Hunde waren sie gewesen und hatten instinktiv gefühlt, dass bedingungsloses Vertrauen unklug gewesen wäre.
    Vertrauen war ein wertvolles Gut im Challow-Hall-Kinderheim, wo viele der problematischeren Kinder zwischen sieben und sechzehn Jahren ihre eigenen Ziele verfolgten. Von den verschiedensten Behörden und Gerichten ins Heim verfrachtet, fühlten sie sich abgeschoben, verlassen und ganz allgemein so, als wären sie der letzte Dreck.
    Einst die Residenz eines reichen Großgrundbesitzers, war Challow Hall ein riesiger grauer, wettergegerbter Steinklotz inmitten einer Hügellandschaft in der Nähe des Dorfes Bartlet in Oxfordshire, zwei Meilen südlich vom Ridgeway, dem antiken Pfad, der sich über gut fünfundachtzig Meilen über die Kalkhügel von Ivinghoe Beacon im Osten Englands bis nach Avebury im Südwesten wand.
    In einer Gegend zu leben, der »außergewöhnliche Schönheit« und »historische Bedeutung« zugemessen wurde, in der es im Umkreis von mehreren Meilen jedoch weder ein Kino noch eine Spielhalle gab, bedeutete für einen Großteil derjugendlichen Heimbewohner, dass sie ständig nach Beschäftigung und Zerstreuung suchten.
    In Bartlet selbst gab es bloß einen Dorfladen und eine Kirche. Swindon, jenseits der Grenze zu Wiltshire, war die einzige Stadt, die aus Sicht der Kids einen Besuch wert war – der einzige Ort, wo man an Automaten spielen oder einen ordentlichen Burger mit Pommes essen konnte. Außerdem gab es dort Läden, die Sachen verkauften, bei denen sich ein Diebstahl lohnte. Doch diese Jagdgründe lagen sechs endlose Meilen von Challow Hall entfernt – in Luftlinie –, und wenn man kein Vogel war und auch keinen Wagen zur Verfügung hatte, musste man auf und ab über die Hügel stapfen, über verschlammte Pfade und durch Weizenfelder, bis man überhaupt eine richtige Straße erreichte.
    Deshalb war der Schulbesuch für die meisten Heimkinder die beste Fluchtmöglichkeit, denn die Behörden sorgten dafür, dass die Kids zu ihren jeweiligen Schulen gebracht wurden. Waren sie erst einmal da, war die öffentliche Buslinie nicht weit. So konnten die Kids sich wenigstens kurzfristig ein bisschen Freiheit gönnen, ohne Bestrafung fürchten zu müssen. Doch wenn man sich zu Tode langweilte, war fast jede Strafe das Risiko wert.
    Und dann hatte das Buch für die vier alles verändert.
    Es war ein altes Taschenbuch mit Eselsohren, das einer von ihnen in einem Bus der Linie 47 gefunden und mit nach Hause gebracht hatte. Wer etwas fand, durfte es behalten, besonders an einem Ort wie Challow Hall.
    In einer geschützten Ecke eines einst blühenden Gemüsegartens, der jetzt nur noch aus zertrampeltem braunem Grasbestand, auf dem man spielen konnte, hatte die Finderin
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