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Die Rache der Kinder

Die Rache der Kinder

Titel: Die Rache der Kinder
Autoren: Hilary Norman
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schwarzen Himmel emporzusteigen.
    »Tun wir’s«, sagte das große Mädchen.
    Es wurde zu ihrem ganz eigenen, privaten Ritual. Tagsüber mochten Wanderer und Radfahrer die Smithy besuchen oder in der Nähe kampieren – je nach Jahreszeit –, aber die Grabkammer war nun ihr Ort, der Ort der vier Kinder, an dem sie das taten, was sie »es mit dem Buch machen« nannten. Es war eine Art Alternativwelt für sie, wenn sie mit den zweihundertfünfundzwanzig Seiten zu dem Steinzeitgrab gingen, einander beim Vorlesen abwechselten und die Charaktere tauschten. Und je mehr sie sich dem Ende näherten, desto aufgeregter wurden sie.
    Als sie mit dem Buch fertig waren, legten sie es beiseite.
    Das war der Punkt, an dem es wirklich begann.
    Das Spiel.

5. Kate
    Selbst jetzt, fast ein Jahr später, fiel es Kate noch immer schwer, dem Geschehen einen Sinn zu entnehmen – jener dunklen und schmerzhaften Zeit, die zu ihrer Trennung geführt hatte. Sie wusste einfach nicht, was genau zwischen ihr und Rob schiefgegangen war.
    Anfang Januar war der Schwangerschaftstest zu ihrer unermesslichen Freude positiv ausgefallen, doch im April war alles wieder zusammengebrochen, als man bei einem routinemäßigen Bluttest stark erhöhte Alphafetoproteinwerte festgestellt hatte.
    Kate war allein zu dem Arzttermin gegangen, obwohl Osterferien waren und man ihr geraten hatte, gemeinsam mit Rob zu kommen; doch Rob hatte an jenem Morgen einen Termin gehabt, sodass sie es ihm gegenüber gar nicht erst erwähnt hatte. Damals hatte sie sich gesagt, sie wolle ihm damit unnötige Sorgen ersparen. Später jedoch hatte sie erkannt, dass sie bloß den Kopf in den Sand hatte stecken wollen; denn wenn Rob nicht bei ihr war, wenn sie schlechte Neuigkeiten bekam, waren sie vielleicht gar nicht real.
    Doch als er dann nach Hause gekommen war, sie geküsst und seine Papiere auf dem Esstisch gestapelt hatte (dort arbeitete er meistens, auch wenn im Gästezimmer ein Schreibtisch stand), hatte sie die Normalität zerschlagen und es ihm erzählen müssen.
    »Was heißt das?«, hatte Rob gefragt. »Was macht dieses Protein?«
    »Das heißt, dass etwas nicht stimmen könnte«, antwortete Kate.
    Sie rang um Fassung, denn sie war zu dem Schluss gekommen, dass sie diese Sache nur durchstehen konnte, wenn sie die Ruhige spielte.
    »Stimmt was nicht mit dir?«, fragte Rob. Die Sorge stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    »Mit mir ist alles in Ordnung«, versicherte ihm Kate.
    Rob sagte nichts dazu. Er setzte sich an den Tisch und schaute sich seine Arbeit an.
    »Es bedeutet allerdings«, wagte Kate sich weiter vor, »dass unser Baby etwas haben könnte, das …«
    »Könnte« , unterbrach Rob sie. »Dieses Wort ist mir immer schon sinnlos erschienen.«
    Kate wusste sofort, wie seltsam diese Bemerkung war, doch augenblicklich verspürte sie Mitleid. Das war nun mal Robs Art, sich vor der brutalen Wirklichkeit zu schützen.
    »Mehr haben wir im Augenblick nicht, Rob«, sagte sie. »Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass unser Kind eine angeborene Spaltbildung der Wirbelsäule haben könnte oder …«
    »Nicht«, unterbrach er sie erneut.
    Kate zog einen Stuhl neben seinen und setzte sich. »Wir müssen gemeinsam mit dem Arzt sprechen und Fragen stellen.« Sie legte die linke Hand auf den Tisch und wartete, dass er sie berührte, doch Rob tat nichts dergleichen. »Allerdings werden wir vor der nächsten Ultraschalluntersuchung nicht mehr wissen.«
    Das war der Augenblick, als Kate diesen seltsamen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen hatte: eine Art stumpfsinniges Abschalten.
    »Ich muss mit der Arbeit weitermachen«, sagte Rob.
    Es war, als hätte er ihre Worte gar nicht gehört.
    Kate war verwirrt. Sie wollte wissen, ob er sie verstanden hatte. Sie wollte getröstet werden. Sie wünschte sich, dass er endlich wieder Rob war, und so wagte sie einen neuen Versuch. »Wir müssen …«
    »Nein.« Diesmal klang es schärfer.
    Kate starrte ihn an.
    »Tut mir leid«, sagte er, »aber ich will nicht darüber reden.«
    »Ich aber.« Sie stand auf. »Wir müssen darüber reden.«
    »Nein«, wiederholte Rob trotzig. »Das müssen wir nicht .«
    »Noch nicht vielleicht, wenn du nicht kannst …« Verwirrt hielt sie inne. »Aber wenn …«
    »Hör auf«, sagte er. »Bitte, hör einfach auf .«
    Kate hatte sich eingeredet, dass es nur eine Laune sei, eine vorübergehende Weigerung, sich der Realität zu stellen; und obwohl sie wusste, dass es hilfreich gewesen wäre, hätte sie ihre
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